"Das geraubte Buch" - Kurzfilm über die Provenienzforschung jetzt online!

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Call for blog posts

„Tag der Provenienzforschung 2020 #digitalonly“ | „Day of Provenance Research 2020 #digitalonly“

 +++ENGLISH VERSION BELOW+++

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

am 16. März 2020 veröffentlichte der Arbeitskreis Provenienzforschung e.V. eine Information zu den Auswirkungen von COVID-19 auf den Tag der Provenienzforschung. Den dort formulierten Vorschlag, „die Nutzung von digitalen Präsentationsformen oder Social Media Kanälen in Betracht zu ziehen“, würden wir gern aufgreifen. Seit kurzem nämlich informiert „RETOUR. Freier Blog für Provenienzforschung“ über das Thema. Die Idee dazu stammt von Sebastian Finsterwalder (ZLB Berlin) und Robin Reschke (SLUB Dresden), die das Blog bei Hypotheses angemeldet haben. „Frei“ heißt, dass RETOUR allen offen steht, die zur Provenienzforschung etwas sagen möchten oder können. Dies soll nun auch die Idee für Blogbeiträge anlässlich des Tags der Provenienzforschung sein.

Wir möchten Sie alle gern einladen, am Tag der Provenienzforschung aus dem „Nähkästchen zu plaudern“ und dies in einem kurzen essayistischen Text auszuformulieren: über Ihre Erfahrungen – allgemein oder konkret –, über Ihre Arbeitssituation – generell oder aktuell –, über Begegnungen, die Sie gemacht, über Erlebnisse, die Sie geprägt, oder über Erkenntnisse, die Sie erschreckt oder erfreut haben – oder auch über „Lieblingsstücke“, zu denen Sie ein besonderes Verhältnis haben.

Die Texte (deutsch oder englisch) sollten eine Länge von 1.500 bis 5.000 Zeichen (1/2 bis zwei A4-Seiten) haben und können natürlich auch bebildert sein (in diesem Fall sollten allerdings die Bildrechte geklärt, eine Bildquelle angegeben und möglichst eine Bildunterschrift formuliert sein). Hypotheses-Blogs bieten auch die Möglichkeit der Kommentierung durch Rezipient*innen, womit Rückmeldungen und Diskussionen möglich werden. Die Beiträge werden selbstverständlich unter Ihrem Namen veröffentlicht und sollten am Ende eine kurze Passage mit Angaben zur Ihrer Person haben: „xyz ist Mitarbeiter*in bei… im Projekt…“.

Wenn Sie mitmachen möchten, würden wir uns über eine kurze Rückmeldung – vielleicht schon mit einer Textidee – freuen: bitte an raubgut@slub-dresden.de. Die Beiträge sollte dann bis zum 6. April 2020 an die gleiche Adresse geschickt werden. So haben wir noch Zeit, kleine redaktionelle Eingriffe vorzunehmen. Ab dem Tag der Provenienzforschung, den 8. April 2020, werden die Beiträge dann mit Abstand online gestellt, um jeden einzelnen auch genügend Aufmerksamkeit zu garantieren.

Neben den etwas längeren Texten besteht übrigens auch die Möglichkeit, mit sehr kurzen Meldungen auf weitere digitale Angebote Ihrer Einrichtungen hinzuweisen. Auch dafür würden wir Sie gern um Zuarbeit eines kurzen Textes bitten.

Der Call darf natürlich gern weitergegeben werden. Mit besten Grüßen aus Berlin und Dresden,

Sebastian Finsterwalder | Elisabeth Geldmacher | Nadine Kulbe | Robin Reschke

+++ENGLISH VERSION+++

Dear colleagues,

on March 16th, 2020, the Arbeitskreis Provenienzforschung e.V. issued an announcement on the effects of COVID-19 on the Day of Provenance Research. We would like to take up the suggestion formulated there, "consider the digital forms of presentation or social media channels". Most recently, "RETOUR. Free Blog for Provenance Research" has been providing information on the topic. The idea came from Sebastian Finsterwalder (ZLB Berlin) and Robin Reschke (SLUB Dresden), who registered the blog with Hypotheses. "Free" in the sense that RETOUR is open to anyone who wants to or can speak about provenance research. This should now also be the basic idea for blog posts on the occasion of the Day of Provenance Research.

We would like to invite all of you to "tell the inside story" on the Day of Provenance Research and to formulate this in a short essay: about your experiences – in broad or specific terms –, about your work situation – general or topical –, about encounters you have had, about experiences which have shaped you, or about insights which have alarmed or delighted you – or about "favourite objects" with which you have a special relationship.

The texts (German or English) should have a length of 1,500 to 5,000 characters (1/2 to two pages) and can, of course, also be illustrated (however, the image rights should be clarified, a source of the image should be indicated and, if possible, a caption should be formulated). Hypotheses blogs also offer the possibility of comments by readers, thus allowing feedback and discussion. The contributions will of course be published under your name and should have a short passage at the end with information about yourself: "xyz is working with... on the project...".

If you would like to participate, we would be glad to hear from you – perhaps already with an idea for a text: please send it to raubgut@slub-dresden.de. Contributions should then be sent to the same address by April 6th, 2020. So we still have time to make small editorial changes. Starting on the Day of Provenance Research, April 8th, 2020, the contributions will then be posted online in intervals to guarantee that every article will receive sufficient attention. In addition to the somewhat longer texts, we also have the option of using very short messages to draw attention to other digital services offered by you or your institutions. If this should be the case, we would also like to ask you to contribute a short text.

This call may of course be forwarded to others. With best regards from Berlin and Dresden,

Sebastian Finsterwalder | Elisabeth Geldmacher | Nadine Kulbe | Robin Reschke

27. Januar – ein Tag des weltweiten Gedenkens

Dieser Beitrag wurde von Leonie Bodinus verfasst. Sie unterstütze das Provenienzprojekt im Januar 2020 als Praktikantin.

Weltweit erinnert der 27. Januar jährlich an die Opfer des nationalsozialistischen Unrechtsregimes, denn an diesem Tag befreite die Rote Armee 1945 das Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau. Bereits 1996 wurde in Deutschland dieser Tag zum „Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus“ ernannt. 2005 legten auch die Vereinten Nationen den „Internationalen Tag des Gedenkens an die Opfer des Holocausts“ auf dieses symbolträchtige Datum.

Ballen mit dem Haar ermordeter Frauen aus dem Konzentrationslager Auschwitz, zur Herstellung vom Matratzen bestimmt, 1944; Fotograf: Viktor Tjomin (SLUB/Deutsche Fotothek df_bika020_0000161_motiv, http://www.deutschefotothek.de/documents/obj/72014855)

 

Diese Gedenktage möchte das NS-Raubgut-Projekt der SLUB zum Anlass nehmen, einen weiteren Fall von NS-Raubgut vorzustellen. Die SLUB sieht es als ihre Aufgabe, unfreiwillig entzogene Kulturgüter im eigenen Bestand zu identifizieren, deren Weg in die Bibliothek zu rekonstruieren und diese an die Erben des ursprünglichen Eigentümers zurückzuführen.

 

Ausschnitt aus dem Dresdner Adressbuch von 1938 (SLUB, http://digital.slub-dresden.de/id32253167Z)

 

Kürzlich konnten die Projektmitarbeiter*innen gemeinsam mit einem Kollegen der Klassik Stiftung Weimar Beno Kaufmann als Vorbesitzer mehrerer Autografen identifizieren. Beno Kaufmann, jüdischer „Fabrikdirektor in Rente“, so das Dresdner Adressbuch von 1938, wurde am 10. März 1862 in Krakau geboren. Zusammen mit seiner Frau Anna wohnte er ab 1922 in Dresden, sie verstarb Ende der 1930er Jahre. Kaufmann litt aufgrund seines hohen Alters vermutlich an Demenz und wurde am 20. Juni 1942 im Alter von 80 Jahren in die „Heil- und Pflegeanstalt Sayn der Reichsvereinigung der Juden in Deutschland“ (auch bekannt als „Jacoby‘sche Heil- und Pflegeanstalt“) eingewiesen. Seit Ende 1940 war dies die einzige Einrichtung, in der jüdische Patient*innen mit psychischen Erkrankungen behandelt werden durften. Ihre Konzentration in Sayn diente der Vorbereitung ihrer Deportation, was die Anstalt zu einem wesentlichen Ort der nationalsozialistischen Judenverfolgung macht. 1942 wurden alle Patient*innen zusammen mit dem jüdischen Pflegepersonal in mehreren Transporten in die Vernichtungslager im Osten deportiert und ermordet. Anhand der Deportationslisten lässt sich rekonstruieren, dass sich Beno Kaufmann am 28. Juli 1942 auf Transport III/2, Zug Da 76 ins Konzentrationslager Theresienstadt befand. Dort verstarb er kurz nach der Ankunft unter ungeklärten Umständen am 12. August 1942.

Beno Kaufmann wurde bereits Anfang 1942 wegen seiner Erkrankung vermutlich entmündigt und sein Besitz durch einen Treuhänder der Stadt Dresden verwaltet. Seine wohl umfangreiche Autografensammlung kaufte das Berliner Antiquariat „Hellmut Meyer und Ernst“ und verkaufte die Einzelstücke an Interessierte weiter. Die Sächsische Landesbibliothek erwarb am 29. April 1942 mehrere Autografen sächsischer Persönlichkeiten, die Herzogin Anna Amalia Bibliothek weitere. Archivquellen verraten darüber hinaus, dass Beno Kaufmann auch weitere Sammlungen besaß: eine Münzsammlung, die für den sogenannten Sonderauftrag Linz requiriert wurde, sowie Grafiken.

In der Regel ist es schwierig, die Vorbesitzer handschriftlicher Dokumente zu ermitteln, weil auf Manuskripten eher selten Provenienzmerkmale angebracht sind. In diesem Fall jedoch waren die Autografen in jener Mappe weiterverkauft worden, in der Beno Kaufmann sie verwahrt hatte. Diese ist mit dem Schriftzug „Aus meiner Autographenmappe Beno Kaufmann“ bedruckt. Handschriftlich hat Kaufmann zudem biografische Informationen über die Briefschreiber notiert.

 

Autografenmappe von Beno Kaufmann; Karton, handschriftliche Notizen, um 1920/1930 (SLUB, Mscr.Dresd.App.515,42/43; Reproduktion: SLUB/Deutsche Fotothek)

 

Leider können die insgesamt 16 Briefe aus dem Eigentum Beno Kaufmanns vorerst nicht an die Familie zurückgeführt werden, da Anna und Beno wohl keine Nachkommen haben. Die Recherchen werden aber weitergeführt. Solang behält die SLUB Dresden diese Kulturgüter in ihrem Bestand und macht die Umstände ihres Erwerbs und ihrer Geschichte bekannt.

Auf die Mitarbeiter*innen des NS-Raubgut-Projekts der SLUB wartet noch viel Arbeit, da die Nachforschungen zu den Wegen der Kulturgüter sehr arbeitsintensiv sind. Umso zufriedenstellender ist jeder aufgeklärte Sachverhalt. Aber wie der Fall Beno Kaufmann zeigt, ist „aufgeklärt“ nicht immer gleichbedeutend mit „restituiert“. Besonders am 27. Januar sollte sich ganz Deutschland die nationalsozialistische Vergangenheit in Erinnerung rufen und die damaligen Gräuel vergegenwärtigen. Im Rahmen der Provenienzforschung sorgen deutsche Bibliotheken täglich gemeinsam dafür, dass die Opfer des Regimes nicht in Vergessenheit geraten.

NS-Raubgut, Dresden und die Jesuiten – Ein Bericht in den Dresdner Neueste Nachrichten vom 27.08.2019

In der Printausgabe der DNN erschien am 27.08.2019 ein Artikel über das NS-Raubgut-Projekt an der SLUB. Berichtet wird über die geplante Restitution an das Exerzitienhauses Hoheneichen in Dresden-Hosterwitz. Der Artikel ist online nachlesbar.

Quellenkunde Provenienzforschung #1


  • Beschädigter Stempel der Saxonia-Loge Chemnitz, in: Verein für Jüdische Statistik/Alfred Nossig, Jüdische Statistik, Berlin: Jüdischer Verlag 1903, SLUB: 37.4.695

Eine der spannenden Fragen bei der Provenienz- und vor allem bei der NS-Raubgutforschung lautet: Woher bekomme ich Quellen, um einen Vorbesitzer zu identifizieren und dessen Geschichte zu rekonstruieren? Denn es gilt ja herauszufinden, ob eine Verfolgung, ein Verbot oder eine Vermögensentziehung durch die Nationalsozialisten stattgefunden hat. Man entdeckt ein Buch im Bestand, das eine mehr oder weniger offensichtlich verdächtige Provenienz besitzt: weil der Name der Organisation auf einen jüdischen Hintergrund hindeutet, weil der Verein sozialdemokratisch oder kommunistisch ausgerichtet war oder weil es sich um eine katholische Ordensgemeinschaft handelt. Nun braucht man handfeste Beweise, dass tatsächlich ein Verfolgungshintergrund vorliegt. Manchmal hilft die Sekundärliteratur weiter, aber leider viel zu selten. Sehr oft müssen Archiv- oder andere Quellen gesucht werden, was enorm zeit- und manchmal auch reiseaufwendig sein kann. Viel zu selten beachtet wird dabei Schriftgut der öffentlichen Verwaltung. Sehr lohnend war beispielsweise eine Auswertung des „Sächsischen Verwaltungsblattes. Teil 1: Verordnungsblatt“, die wir im Rahmen unseres aktuellen Projekts durchgeführt haben. Zur Verfügung standen die Jahrgänge 1933 bis 1943.

  • Titelblatt des 23. Heftes des Sächsische Verwaltungsblattes von 1933

Das Verwaltungsblatt war vor allem von der Landes- für die die Landesverwaltung gedacht und meldete etwa im Drei-Tage-Rhythmus Änderungen von Gesetzen und Vorschriften, Gemeindezusammenlegungen oder andere für die öffentliche Verwaltung und ihre Organe relevante Informationen. Dazu gehörten ab 1933 auch Anweisungen über Auflösungen, Verbote von und Vermögenseinziehungen bei Parteien, Vereinen und anderen Organisationen. Ab Januar 1942 finden sich auch Meldungen über Vermögenseinziehungen bei jüdischen Personen. Von großem Vorteil bei dieser Quelle ist, dass man einerseits konkrete Daten zu den Vorgängen erhält, andererseits die offiziellen Namen und den Sitz der Körperschaften erfährt und oft auch Leiter oder Vorsitzende namentlich genannt werden.

Ergebnis unserer Auswertung ist eine Liste, die die im Sächsischen Verwaltungsblatt zwischen 1933 und 1943 von Auflösungen, Verboten, Vermögensentzug betroffenen Körperschaften und Personen namentlich und mit weiteren Angaben aufführt. Es gibt einige Übereinstimmungen mit Provenienzen, dir wie in Büchern der SLUB bereits gefunden haben: der Saxonia-Loge Chemnitz, Victor von Klemperer, dem Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold, der Freien Arbeiter-Union Deutschlands, der Deutschen Liga für Völkerbund oder Haus Hoheneichen in Hosterwitz bei Dresden.

  

  • Meldung über den Entzug des Vermögens der Saxonia-Loge Chemnitz im Sächsischen Verwaltungsblatt von 1937

  

  • Meldung über den Entzug des Vermögens von Victor und Ralph von Klemperer im Sächsischen Verwaltungsblatt von 1942

Die Liste stellen wir hier gern allen Interessierten zur Verfügung. Sie zeigt einerseits die Dynamik, mit der die Nationalsozialisten sich der als politische Gegner deklarierten Organisationen „entledigten“, aber in den abnehmenden Meldungen ab 1938 auch, dass es irgendwann nicht mehr allzu viel zu verbieten gab.

Verbotene, aufgelöste bzw. enteignete Körperschaften bzw. enteignete Personen, zusammengestellt nach dem Sächsischen Verwaltungsblatt 1933-1943 (PDF)

Zudem sei angemerkt, dass die Liste nicht vollständig ist. Einerseits wurde nicht jedes im Deutschen Reich in Kraft getretene Verbot etc. im Sächsischen Verwaltungsblatt veröffentlicht, sondern mutmaßlich vor allem solche mit Bezügen zu Sachsen. Anderseits haben wir die enorme Menge von Meldungen über Grundstückseinziehungen nicht erfasst, die vor allem Turn- und Sportvereine in sächsischen Städten und Dörfern betrafen.

  • Meldung über eine Grundstückseinziehung, den Turnverein Leitelshain e.V. in Crimmitschau betreffend, im Sächsischen Verwaltungsblatt von 1936

NS-Raubgutforschung kompakt - Flyer zum Projekt erschienen

Ein kürzlich erschienener Flyer informiert nun über Thema Provenienzforschung an der SLUB und steht hier zum Download bereit.

 

NS-Raubgut-Forschung der SLUB bei Twitter und Instagram

Ab heute können Interessierte auf Twitter und Instagram sich über den aktuellsten Stand der Provenienzforschung zu NS-Raubgut an der SLUB informieren:

twitter.com/Provenienz_SLUB

www.instagram.com/provenienzslub/

Der Sächsische Landtag debattiert zum Antrag der Partei Bündnis 90/Die Grünen zum Thema: Erforschung und Rückgabe von NS-Raubgut an öffentlichen Bibliotheken in Sachsen voranbringen

Die Videoaufzeichnung der Debatte können Sie hier nachsehen: www.landtag.sachsen.de/de/aktuelles/videoarchiv/sitzung/1316/10

Zu den internationalen Wochen gegen Rassismus in Dresden (11.03. - 06.04.2019)

Dieser Artikel wurde von Robert Badura, Katrin Mai und Anne Lahl verfasst. Sie unterstützen das Provenienzprojekt seit Juni 2018 als Wissenschaftliche Hilfskräfte.

In ihrer aktuellen Meldung weist die Landtagsabgeordnete Kerstin Köditz auf die erneut gestiegene Zahl von 138 antisemitischen Straftaten in Sachsen im vergangenen Jahr hin, und auch die Zahl rechtsextremistischer Straftaten bewegt sich auf nach wie vor einem hohen Niveau. Dabei muss auf die Alltäglichkeit antisemitischer, rassistischer Praktiken und jeder Form von Diskriminierung hingewiesen werden, die wir täglich ausüben, tolerieren und akzeptieren: etwa die Pöbelei in der Straßenbahn, in die wir nicht eingreifen, oder die schnell hingeschmierten Hakenkreuze an der Fassade, die wir meist ignorieren.

Wollen wir uns mit dem Verhaftetsein von Antisemitismus im Alltag auseinandersetzen, müssen wir im Auge behalten, dass es nicht nur die übergeordneten Strukturen der großen Politik, der Gesellschaft, der Geschichte sind, die antisemitisches und rassistisches Verhalten in Vergangenheit und Gegenwart goutiert haben – etwa durch die Verschiebung von Diskursen nach rechts in jüngster Zeit – und auf die man gern ablenkt. Neben ideologischen und religiösen Ursachen von Rassismus nehmen auch wirtschaftliche Interessen und persönliche Befindlichkeiten eine wesentliche Rolle ein. Auch in der Vergangenheit lassen sich etwa die Aussicht, sich finanziell und materiell auf leichtem Wege bereichern zu können, oder der schnelle Karriereaufstieg, als Gründe antisemitischen Handelns ausweisen: Eine Diskriminierung um der Vorteilsnahme willen, von welcher sich auch die Verwaltungsbürokratie und das Berufsbeamtentum im Nationalsozialismus eben nicht ausnahmen, und die meist in Übereifer die neuen gesetzlichen Vorgaben der NSDAP zu Arisierung und Enteignung noch übertrafen. Auch innerhalb der Verwaltungsapparate bot sich so die Gelegenheit, sich selbst zu profilieren oder den Platz eines Kollegen einzunehmen, der nun Arbeitsverbot hatte.

Ein Opfer des Rassismus war Professor Dr. Max Hilzheimer. Einst anerkannt und erfolgreich, wurde er von den Nationalsozialisten seiner beruflichen Positionen beraubt, aus dem einzigen Grund, dass er jüdischer Abstammung war. 1877 im sachsen-anhaltinischen Kehnert geboren, promovierte er 1903 im Fach Zoologie in München. Hilzheimer arbeitete in den Museen von Straßburg, Stuttgart und, bereits habilitiert, ab 1913 am Märkischen Museum Berlin, wo er sich zur deutschen Koryphäe für die Abstammungsgeschichte der Haustiere entwickelte. Seit 1923 war er im wissenschaftlichen Beirat im Volksbund Naturschutz tätig. 1928 übernahm Max Hilzheimer das Ehrenamt des ersten Berliner Naturschutzkommissars. Neben seinem Engagement im Volksbund Naturschutz e. V. und der Brandenburgischen Provinzialkommission für Naturdenkmalpflege arbeitete er als Direktor der Naturwissenschaftlichen Abteilung des Märkischen Museums und als Professor der Haustierkunde an der Tierärztlichen Hochschule.

Wie viele damalige Naturschützer war auch Max Hilzheimer dem rechtskonservativen Lager zugetan. Die Umwelt, besonders Wälder, galten ihnen als prägend für ein gesundes Volk und als Quelle der Vaterlandsliebe. Sie hofften, dass nationale Parteien diesen Umstand als wichtig bewerten und dem Naturschutz die notwendige Verfügungsmacht einräumen würden. Daher begrüßte auch Max Hilzheimer die nationalsozialistische Machtübernahme.

Doch weder seine politische Haltung noch seine immensen Verdienste für Wissenschaft und Naturschutz schützten ihn vor der rassistischen Verfolgung der Nationalsozialisten. Durch das „Gesetz zum Neuaufbau des deutschen Hochschulwesens” verlor er als Jude bis 1936 alle Posten und Ehrenämter. Seine einstigen Kollegen im Naturschutzverein übernahmen die im „Arierparagraphen“ definierte antisemitische Satzung, die Hilzheimer endgültig ausschloss. Auch seine ehemalige Arbeitsstelle, das Märkische Museum, durfte er nicht mehr betreten. Ab 1942 wurde ihm sogar jede Nutzung von Bibliotheken verweigert. Allein seine als „arisch” eingestufte Ehefrau Walburga hielt zu ihm, was ihn vor der Deportation rettete. Professor Dr. Max Hilzheimer überlebte den Nationalsozialismus und den Zweiten Weltkrieg um ein Jahr. Seine Verdienste für den Berliner Naturschutz sind aus dem kollektiven Gedächtnis fast vollständig getilgt.

Ein Exlibris von ihm findet sich in einem Buch über die Entstehung der Welt. Auf welchen Wegen das Werk in die SLUB gelangt ist, konnte bisher nicht lückenlos ermittelt werden.

   

Prof. Dr. Otto Jacob Max Hilzheimer (*1877 – †1946, Fotograf unbekannt) und sein Exlibris

Das Fallbeispiel von Max Hilzheimer mag dazu verleiten, die Auswüchse rassistischen Verhaltens ausschließlich mit dem Nationalsozialismus zu verbinden. Aber Rassismus durchzieht alle Gesellschaften und endet nicht an räumlichen und zeitlichen Grenzen. Vielmehr stellt Rassismus in jedweder Epoche ein schwer zu bekämpfendes Phänomen in allen zivilisierten Gesellschaften dar. Daher ist es umso wichtiger, sich für ein tolerantes Miteinander, die Achtung von Menschenrechten sowie die Wahrung der Würde eines jeden einzelnen Individuums stark zu machen. Die internationalen Wochen gegen Rassismus sind daher ein maßgebender öffentlicher Ansatz, um Projekte zu entwickeln und zu fördern, die sich beispielsweise für die Überwindung der Ausgrenzung von Minderheiten einsetzen. Begründet wurden sie als Reaktion auf das „Massaker von Sharpeville“ am 21. März 1960. An diesem Tag versammelten sich zahlreiche Menschen, um mittels eines gewaltfreien und friedlichen Aufmarsches gegen die diskriminierenden Passgesetze des rassistischen Apartheid-Regimes in Südafrika zu protestieren. Die Polizei eröffnete jedoch das Feuer auf die Menge, tötete dabei 69 demonstrierende People of Colour und verletzte viele weitere. Die Vereinten Nationen erklärten 1966 diesen Tag zum „Internationalen Tag zur Überwindung von rassistischer Diskriminierung“ und ab dem Ende der 1970er Jahre gedachte man dieses Ereignisses mit einer jährlichen Aktionswoche.

Massacre of Sharpeville“ von Godfrey Rubens

Die seit 1994 in Deutschland durch den Interkulturellen Rat in Deutschland e.V. koordinierten Aktionen rund um den 21. März werden seit 2014 durch die eingerichtete Antirassismus-Stiftung organisiert. Aufgrund der stetig steigenden Beteiligung sowie der Anzahl an Veranstaltungen wurde der Aktionszeitraum von einer auf zwei Wochen ausgedehnt. Die sächsische Landeshauptstadt Dresden weicht von dieser bundesweiten Laufzeit ab: Dies begründet sich darin, dass am 6. April eine jährliche Gedenkveranstaltung anlässlich der Ermordung Jorge João Gomondais abgehalten wird. Jener erlag am 6. April 1991 den schweren Kopfverletzungen, die er sich zuzog, als Rechtsextremisten ihn aus der fahrenden Straßenbahn warfen. Er gilt als eines der ersten Todesopfer rassistisch motivierter Übergriffe in Dresden seit der Wiedervereinigung Deutschlands. Das Erinnern an ihn und die anderen Opfer rassistischer Gewalt bildet den Abschluss der internationalen Wochen gegen Rassismus. Ab dem 11. März 2019 vollzieht sich in Dresden ein vielfältiges Programm im Rahmen der Internationalen Wochen gegen Rassismus. Mit dem Logo „100 Prozent Menschenwürde – zusammen gegen Rassismus“ und dem diesjährigen Motto der Stiftung „Europa wählt Menschenwürde“ soll nicht nur über rassistische Diskriminierung und Ausgrenzung in verschiedensten gesellschaftlichen Bereichen aufgeklärt, sondern auch zum aktiven Handeln dagegen aufgefordert werden. Über 100 unterschiedliche Veranstaltungen werden von rund 60 Vereinen, Institutionen, Initiativen, demokratischen Parteien, Organisationen und Einzelpersonen angeboten. Das breite Spektrum umfasst dabei u. a. Vorträge und Lesungen, Diskussionsabende, aber auch sportliche Aktivitäten und Workshops. Überdies bietet es auch die Möglichkeit für kulturelle Begegnungen und Dialoge vielfältigster Art.

 


Quellen:

http://kerstin-koeditz.de/?p=3109, abgerufen am 2019-03-05.

https://raa-sachsen.de/statistik.html, abgerufen am 2019-03-18.

Uffa Jensen, Stefanie Schüler-Springorum: Antisemitismus und Emotionen, in: APUZ 28-30, 2014, S. 17-24.

Alexander Mitscherlich, Margarete Mitscherlich: Die Unfähigkeit zu trauern. Grundlagen kollektiven Verhaltens, Stuttgart (u. a.), 1967.

Rüdiger Fleiter: Kommunen und NS-Verfolgungspolitik, in: APUZ 14-15, 2007, S. 35-40.

https://de.wikipedia.org/wiki/Max_Hilzheimer, abgerufen am 2019-03-18.

https://web-redaktion.slub-dresden.de/Bernd Schütze: Verdrängte Geschichte - Juden im Naturschutz, 2005., abgerufen am 2019-03-18.

https://www.deutsche-biographie.de/gnd116893303.html#ndbcontent, abgerufen am 2019-03-18.

https://www.berlin.de/senuvk/natur_gruen/lb_naturschutz/download/publikationen/ausstellung_tafel01.pdf, abgerufen am 2019-03-18.

Hans-Werner Frohn: Naturschutz und Demokratie. Vom Hang zu ‚starken Männern‘ und lange Zeit bewusst verschwiegenen demokratischen Traditionen 1880 bis 1970. In: BfN-Skripten 394 (2015), S. 73-85.

Marius Hellwig: „Naturschutz ist Heimatschutz“ – völkischer Rechtsextremismus im Naturschutz. In: Rechtsextreme Ideologien in Natur- und Umweltschutz. Hrsg. von Fachstelle Radikalisierungsprävention und Engagement im Naturschutz (FARN). 2018, S. 6-8.

https://stiftung-gegen-rassismus.de/ziele, abgerufen am 2019-03-18.

https://stiftung-gegen-rassismus.de/iwgr, abgerufen am 2019-03-18.

https://de.wikipedia.org/wiki/Massaker_von_Sharpeville, abgerufen am 2019-03-18.

https://www.dresden.de/de/leben/gesellschaft/migration/iwgr/iwgr.php, abgerufen am 2019-03-18.

https://www.dresden.de/media/pdf/auslaender/iwgr/iwgr-programm-2019_de.pdf, abgerufen am 2019-03-18.

Zum Gedenken an den 80. Jahrestag der Novemberpogrome

 „Als ich etwa anderthalb Wochen danach noch einmal nach Pirna fuhr, war inzwischen die Grünspanaffaire erfolgt. Vor der Fahrt hatte ich eben bei Natcheff gehört, dass man die Nacht zuvor ‚spontan‘ die hiesige Synagoge niedergebrannt u. jüdische Fensterscheiben eingeschlagen habe. Ich brauche die historischen Ereignisse der nächsten Tage, die Gewaltmaßnahmen, unsere Depression nicht zu schildern. Nur das Engpersönliche und conkret Tatsächliche“,

notierte Victor Klemperer am 22. November 1938 in sein Tagebuch. Der Gedanke an Auswanderung wuchs in ihm angesichts des Pogroms, der vor genau 80 Jahren stattfand und in dessen Folge in ganz Deutschland Synagogen brannten, jüdische Geschäfte zerstört und Menschen ermordet wurden. In Dresden brannte in der Nacht vom 9. auf den 10. November das 1840 von Gottfried Semper errichtete Gotteshaus nieder. Zuvor plünderten SA, SS und NSDAP-Mitglieder das Gebäude und hielten die Feuerwehr vom Löschen ab. Dank des engagierten Feuerwehrmanns Alfred Neugebauer konnte aber der Davidstern gerettet werden, der heute mahnend das Portal der neuen Synagoge Dresdens ziert. Die Ruine der Sempersynagoge wurde zwei Tage später gesprengt und die Kosten der Beseitigung der Trümmer der Jüdischen Gemeinde auferlegt.  

Dresdner Synagoge vor der Zerstörung (SLUB/Deutsche Fotothek)

Zerstörte Synagoge in Dresden (Aufnahme kurz vor der Sprengung 1938, Stadtarchiv), Filmaufnahmen zur Zerstörung der Dresdner Synagoge finden Sie hier


Der gerettete Davidstern in der Neuen Synagoge Dresden (Quelle: www.das-neue-dresden.de/synagoge.html)

Nach der Machtübergabe an die Nationalsozialisten 1933 wurden die diskriminierenden Maßnahmen gegen jüdische Bürger immer weiter verschärft. Die staatlich koordinierten Novemberpogrome 1938 sollte die schon im Frühjahr 1938 begonnene Enteignung der jüdischen Bürger beschleunigen.

Schautafel zu den Nürnberger Rassegesetzen (1935), die eine der diskriminierenden und entwürdigenden Maßnahmen gegen die jüdische Bevölkerung darstellten (Quelle: Lebendiges Museum Online, Deutsches Historisches Museum Berlin)

Das Attentat Herschel Grynspans auf das NSDAP-Mitglied und Legationssekretär in Paris Ernst Eduard vom Rath nutzen die Nationalsozialisten als Vorwand für den antisemitischen Terror. Grynszpans Familie war im Zuge der sogenannten Polenaktion vom 28./29. Oktober nach Polen abgeschoben worden. Er selbst ist vermutlich 1942 im Konzentrationslager Sachsenhausen ermordet worden. „Das Maß ist voll!“, hetzte die NS-Propaganda-Zeitung „Der Freiheitskampf“ am 8. November 1938. Mit unverschleiertem Antisemitismus wurden Juden als „Kanaillen“, „Verbrecher“ und „Weltparasiten“ bezeichnet, denen gegenüber „keine Gnade am Platze ist“. Am Ende des Artikels die Drohung: „Deutschland wird nunmehr jene Konsequenzen aus dem feigen Mordanschlag ziehen, die nach Lage der Dinge unumgänglich geworden sind.“  Wie überall im Deutschen Reich organisierten sich SA- und SS-Verbände zur koordinierten Gewaltaktion gegenüber Juden, nachdem die Parteiführung Polizei und Feuerwehr zur Zurückhaltung aufgefordert hatten, damit sich die „Empörung des Volkes“, wie der "Freiheitskampf" am 11. November zynisch schrieb, entladen konnte. 

Als Folge der Gewaltakte in der Pogromnacht geht man heute deutschlandweit von etwa 400 Toten aus, darunter Suizide und Tod als Folge schwerer körperlicher Misshandlungen. Im Dunklen bleibt die Zahl der Vergewaltigungen. Etwa 30 000 Juden wurden verhaftet und deportiert. In Dresden und Umland waren es um die 150, meist vermögende jüdische Bürger und der gesamte Vorstand der Jüdischen Gemeinde, die man in die Konzentrationslager Sachsenhausen und Buchenwald deportierte. Die Zahl der in Haft zu Tode gekommenen geht landesweit in die hunderte, bleibt aber ebenfalls im Dunklen. Oft wurden die Juden schon bei Ankunft in den Konzentrationslagern erschossen. Viele erlitten körperliche Misshandlungen und hatten mit Spätfolgen der Gewalteinwirkung zu kämpfen, von Traumata ganz zu schweigen. Insgesamt geht die Forschung von 1406 zerstörten Synagogen und Gebetsräumen aus.  

Zum 80. Jahrestag der Novemberpogrome erscheint erstmals eine umfassende Studie zu den Ereignissen in Sachsen. Das Projekt Bruch|Stücke von Daniel Ristau untersucht antijüdische Kundgebungen in 50 kleineren und größeren Orten in Sachsen. Der Verein Stolpersteine für Dresden e.V. organisiert für den 9. November Mahnwachen. Dabei wird auch an Max Geyer und der Familie Kaps gedacht, deren Bücher als NS-Raubgut in der SLUB identifiziert und restituiert wurden.

Quellen:

Victor Klemperer, Tagebucheintrag vom 22.11.1938 (www.dbod.de/session/digbib_klemperer-2423e961.html; 7.11.2018)

www.jüdische-gemeinden.de/index.php/gemeinden/c-d/161-dresden-sachsen

de.wikipedia.org/wiki/Novemberpogrome_1938

de.wikipedia.org/wiki/Alte_Synagoge_(Dresden)

„Der Freiheitskampf“ vom 11.11.1938

Hans Brenner, Wolfgang Heidrich, Klaus-Dieter Müller u.a. (Hrsg.), NS-Terror und Verfolgung in Sachsen. Von den Frühen Konzentrationslagern bis zu den Todesmärschen, Dresden 2018.

Hier geht es zum entsprechenden Beitrag im SLUB-Blog.

Bücher von George Meyer – einem vergessen gemachten Pionier der Notfallmedizin und des Rettungswesens – gefunden

Beim Auffinden des Exlibris eines Dr. med. George Meyer in zwei Büchern im SLUB-Bestand konnte man noch nicht ahnen, dass es sich dabei um einen bedeutenden Arzt handelte, dessen Verdienste und Existenz die Nazis auslöschen wollten. Vor allem ließen das charakteristische „e“ in George und das „med.“ als Kennzeichnung der Fachdisziplin darauf hoffen, dass trotz des recht verbreiteten Namens Meyer eine Identifizierung möglich sein würde. Die beigefügten Motive des Totenschädels, der beschrifteten Arzneimittel und Tinkturen auf Tisch und Regal deuten auf eine medizinische Tätigkeit hin.

Exlibris von George Meyer

Dank eines Online-Artikels im Berliner Kurier und vor allem der umfangreichen Publikation zu George Meyer und seiner Verdienste von Peter Voswinckel, in welchem die Privatbibliothek und das Exlibris benannt sind, gestaltete sich die Zuordnung als vergleichsweise einfach.

Mit seinen Eltern Jakob Lewin Meyer (1821-1886) und Henriette Meyer, geb. Trietsch (1823-1904) und Schwester Alice Eugene Meyer (1858-1936) lebte George Meyer in Berlin. Gemeinsam mit seiner Ehefrau Pauline, geb. Croner (1866-1935), hatte George Meyer zwei Kinder. Ihr Sohn Ernst John (1892-1918) starb als Assistenzarzt im Ersten Weltkrieg in Frankreich; Tochter Charlotte (1898-1984) war als leitende Fürsorgerin am Kriminalgericht Moabit bis zu ihrer zwangsweisen Versetzung in den Ruhestand 1933 tätig. Ihr gelang 1937 die Emigration nach Großbritannien.

George Meyer (Quelle: DGHO-Archiv Berlin)

1883 beendete George Meyer mit seiner ärztlichen Staatsprüfung das Medizinstudium. 1884 eröffnete er seine eigene Praxis. Rettungswesen, Krankenpflege und Krebsforschung – in allen drei Bereichen war Dr. George Meyer wesentlich an der Begründung, Professionalisierung oder dem Ausbau beteiligt. Federführend bewirkte er beispielsweise die Einrichtung einer Rettungszentrale in Berlin, sodass ein schneller und organisierter Transport der Patienten mit Hilfe neuer Telekommunikation möglich wurde. Und trotz dieser Verdienste scheint der Name George Meyers seit 1933 in den wenigsten Fällen in entsprechenden Publikationen auf: Da er jüdischen Glaubens war, versuchten die Nazis seinen Namen und Hinweise auf seine Leistungen flächendeckend zu tilgen.

Titelblatt aus George Meyers Buch „Das Rettungs- und Krankenbeförderungswesen im Deutschen Reiche

Das Negieren George Meyers und seiner Verdienste, die Verfolgung und Emigration seiner Tochter Charlotte und die Beschlagnahmung und -versteigerung des Familienbesitzes ließen bei den Büchern mit dem Exlibris George Meyers auf eine Vergangenheit mit unrechtmäßigem Entzug vermuten. Insofern bedurfte es der Klärung, welche Wege die Privatbibliothek gegangen war.

George Meyer sammelte vor allem medizinische Literatur, Abbildungen, Stiche und behördliche Originalverordnungen. Seine Bücher kennzeichnete er durch das Exlibris, das sich auch in den beiden Büchern in der SLUB befindet. Gestaltet wurde es von Paul Voigt (1859-1924), dem Grafiker und Abteilungsleiter der Reichsdruckerei. Häufig sind die Titel aus dem 19. und 20. Jahrhundert in einem braunroten Halbgewebeeinband mit Bezug aus Musterpapier gebunden, außerdem finden sich dabei ein gold-geprägte Rückentitel und Ornamente sowie teilweise originale Standnummern. Zwar erfasste George Meyer seine medizinhistorische Bibliothek mittels eines Loseblatt-Kataloges, dieser ist jedoch nicht mehr erhalten; vermutlich befand er sich unter dem 1941 beschlagnahmten und versteigerten Familienbesitz. Das Aktenmaterial der Institutsbibliothek für Geschichte der Medizin und der Naturwissenschaften Berlin belegt, dass die Privatbibliothek Meyers 1929 den Gründungsbestand für erstere bildete. Somit waren die weiteren Stationen der Privatbibliothek mit der der Institutsbibliothek identisch. Letztere wurde 1944 u. a. nach Schloss Elvershagen bei Stargad (Pommern) ausgelagert, wobei die Bestände nach Kriegsende nach Leningrad (heutiges St. Petersburg) gelangten und 1956 restituiert wurden. Ein Teil verblieb in Polen und landete später im Antiquariatshandel. In den 1970er und 1980er Jahren gab die Zweigbibliothek Wissenschaftsgeschichte an der Zentralen Universitätsbibliothek, die damalige Nachfolgerin der Institutsbibliothek, Dubletten an die Zentralstelle für wissenschaftliche Altbestände (ZwA) ab. Darunter befanden sich ebenfalls Exemplare mit der Provenienz George Meyers. Die ZwA war eine der Einrichtungen in der DDR, die Bücher (u.a. welche, die als „herrenlos“ galten) an vor allem wissenschaftliche Bibliotheken verteilte, sodass kriegsbedingte Lücken aufgefüllt werden konnten.

Im Exemplar „Die heutige Grundlage der Deutschen Wehrkraft“ von Brentano und Kuczynski lassen die enthaltenen Merkmale – Widmung und Exlibris – vermuten, dass der Co-Autor Robert Kuczynski George Meyer das Buch schenkte.

Die Karten im Standortkatalog der Sächsischen Landesbibliothek (SLB) benennen die Art des Zugangs und in vielen Fällen auch die Provenienz. Für die zwei Bücher, in denen sich das Exlibris George Meyers befindet, ist „G“ für Geschenk und die ZwA als Zulieferer vermerkt. Dank der Unterstützung der Kollegin Regine Dehnel an der Staatsbibliothek Berlin, die derzeit im Provenienzprojekt zur ZwA arbeitet, wissen wir, dass beide Bücher 1987 an die SLB abgegeben wurden. Die Inventarnummern „1990.02.19“ und „1990.03.19“ in den Büchern zeigen an, dass sie 1990 inventarisiert wurden.

Aufgrund dessen lässt sich mit hoher Wahrscheinlichkeit vermuten, dass es sich bei diesen beiden Büchern um ausgesonderte Dubletten der 1970er und 1980er handelt und somit kein Verdacht auf NS-Raubgut besteht.

Das Jacob-und-Wilhelm-Grimm-Zentrum an der Humboldt-Universität Berlin ist die Nachfolgereinrichtung der damaligen Institutsbibliothek, in der heute die Bibliothek George Meyers gesondert als ein Teil der Historischen Sammlungen aufgestellt ist und eingesehen werden kann.

weiterführende Literatur:

Peter Voswinckel: Das verschüttete Antlitz des Generalsekretärs: Spurensuche als posthume Würdigung von Prof. George Meyer (1860-1923). Zugleich ein medizinhistorisches Lehrstück. Berlin 2015.

Darin zur Privatbibliothek George Meyers: Yong-Mi Rauch / Kathrin Woywood: Die medizinhistorische Privatbibliothek von George Meyer, S. 152-157.

26.10.2018: Von Autogramm bis Zugangsnummer. Provenienzmerkmale in der Deutschen Fotothek

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22.10.2018 Rückgabe eines Buches von Victor Armhaus

In der Dissertation von Franz Reuss zum Thema „Christian Dohms Schrift "Über die bürgerliche Verbesserung der Juden" und deren Einwirkung auf die gebildeten Stände Deutschlands. Eine Kultur- und literaturgeschichtliche Studie scheint das Autogramm von Victor Armhaus auf.

Im Rahmen von Provenienzrecherchen an der Universitätsbibliothek Leipzig (2009-2011) konnte das Autogramm dem jüdischen Sprachwissenschaftler und Übersetzer Victor Armhaus (1859-1942) zugeordnet werden.

Victor Armhaus wurde am 13. Oktober 1859 in Dubiecko (Galizien) geboren. Victor Armhaus eröffnete 1889 in Leipzig ein Übersetzungsbüro. Er war Dolmetscher an Leipziger Gerichten für 23 Sprachen. Nach der „Machtergreifung“ der Nationalsozialisten verlor er seine Beschäftigung. Nachdem in der sogenannten Polenaktion am 28. Oktober 1938 seine beiden Nichten und sein Neffe, der Maler Eduard Einschlag, gemeinsame mit dessen Frau zur polnischen Grenze deportiert worden waren, blieb Victor Armhaus fast 80-jährig allein in Leipzig zurück. Er musste in ein kleines Zimmer im Hinterhaus des Ariowitsch-Altersheimes in der damaligen Auenstraße ziehen. Das bedeutete auch den Verlust seiner wertvollen und umfangreichen sprachwissenschaftlichen Bibliothek. Im September 1942 wurde Victor Armhaus nach Theresienstadt deportiert, wo er aufgrund der Strapazen und altersbedingt am 7. November 1942 verstarb.

Auf Wunsch der Erben von Victor Armhaus werden alle seine Bücher in der Universitätsbibliothek Leipzig zusammengeführt. Eine Übergabe des an der SLUB vorhandenen Exemplars konnte am 22. Oktober 2018 stattfinden.

ab 17.10.2018 Ringvorlesung zu Museen im Nationalsozialismus

Am Institut für Kunstgeschichte der TU Dresden startet am 17.10.2018 eine Ringvorlesung zum Thema "Museen im Nationalsozialismus".

Ausgehend von der Dresdner Situation, die derzeit im DFG-geförderten Projekt „Zwischen Kunst, Wissenschaft und Politik – Museen im Nationalsozialismus. Die Staatlichen Sammlungen für Kunst und Wissenschaft in Dresden und ihre wissenschaftlichen Mitarbeiter“ erforscht wird, widmet sich die Ringvorlesung dem umfangreichen, von Ambiguitäten und Widersprüchen geprägten Themenkomplex der Museen im Nationalsozialismus.

Zeitplan und Programm finden Sie hier.

25.9.2018: Restitution: SLUB übergibt drei Bücher aus dem Eigentum der Jüdischen Gemeinde Hamburg

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14.8.2018 Buchrückgabe an die Erben von Hedwig Hesse

1993 kaufte die SLUB Friedrich Freskas „Die Notwende“ von der Stadtbibliothek Berlin (BStB) an. Das darin enthaltene Exlibris von Hedwig Hesse gab Anlass zu Recherchen, da ein erhöhter Verdacht auf NS-Raubgut bestand.

Hedwig Hesse wurde am 08. Mai 1880 in Berlin als Hedwig Bachur geboren. Sie heiratete den am 30. Juli 1880 in Leipzig geborenen Max Hesse. Das Paar hatte drei Kinder: Peter, Susi und Walter. Die Hesses wurden in Deutschland als Juden verfolgt. Den Kindern gelang eine rechtzeitige Emigration nach Südafrika bzw. in die USA. Hedwig und Max Hesse wurden zusammen am 19. Januar 1942 nach Riga deportiert und dort ermordet.

Neben der Verfolgungsgeschichte der Familie Hesse bestärkt die Provenienz „Stadtbibliothek Berlin“ den Verdacht, dass es sich bei dem Buch um NS-Raubgut handelt: 1943 kaufte die Stadtbibliothek Berlin ca. 40.000 Bücher deportierter Berliner Juden von der Pfandleihanstalt der Stadt Berlin an.

Mitte August 2018 konnte die SLUB in einer gemeinsamen Restitution mit der Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz insgesamt drei Bücher an die Großenkelin Hedwig Hesses zurückgeben.

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01.08.2018 „Auf der Suche nach Bismarcks Erben“ - Ein Bericht in der Sächsischen Zeitung vom 30.07.2018

In der Printausgabe der Sächsischen Zeitung erschien am Montag, den 30. Juli 2018 ein Artikel über die Arbeit der ProjektmitarbeiterInnen des Raubgutprojektes. Berichtet wird unter anderem auch über den Fall der Familie Angel, die Restitution des Buches von Max Geyer und über das Vorgängerprojekt.

Der Artikel ist auch online verfügbar.

03.07.2018 Buchrückgabe an die Erben von Irene Kirschstein

In Otto Ernsts Jugend von heute zeigt das Autogramm „Irene Kirschstein“ seine ursprüngliche Besitzerin an: Rose Irene Kirschstein (1889–1973). Sie lebte mit ihrem Mann Hans (1881–1960) und den beiden Kindern Charlotte (1920–2008) und Peter (1922–?) in Dresden. Die Kirschsteins wurden als Juden verfolgt. Irene, Hans und Charlotte gelang 1939 die Emigration nach Bolivien, Peter wurde wahrscheinlich 1943 in Auschwitz ermordet.

Wir berichteten im März 2018 über den Raubgut-Fund. Letzte Woche konnte das Buch an die Enkel der Familie Kirschstein zurückgegeben werden, sodass es sich nun an seinem rechtmäßigen Ort befindet.

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27.6.2018 Umbenennung des Vortragssaals der SLUB in „Klemperer Saal“

Seit heute trägt der Vortragssaal der SLUB den Namen „Klemperer Saal“ und erinnert damit an zwei für die Geschichte der Stadt Dresden wie für die SLUB bedeutende Persönlichkeiten. Neben dem Saal wurde eine Tafel zur Erläuterung der Namensgebung angebracht:

„Victor Klemperer (1881-1960), Sohn eines Rabbiners, hatte ab 1920 bis zu seiner Amtsenthebung durch die Nationalsozialisten 1935 den Lehrstuhl für Romanistik an der Technischen Universität Dresden inne. Eine der vielen Repressalien während der Diktatur war ein Benutzungsverbot der Sächsischen Landesbibliothek. Seit 1977 konnte die SLUB die Tagebücher Klemperers sowie weitere Dokumente der Familie übernehmen. Die Tagebücher 1933-1945 wurden in viele Sprachen übersetzt, dienten als Filmstoff und sind ein Standardwerk im Geschichts- und Deutschunterricht.

Nicht näher verwandt mit dem Romanisten war der Dresdner Bankier Victor Klemperer von Klemenau (1873-1943), dessen 1938 beschlagnahmte Büchersammlung, darunter 549 wertvolle Inkunabeln, in die Bibliothek gelangte. Aus den Ausweichdepots kamen nach Kriegsende lediglich 12 Inkunabeln zurück. 1991 wurde der verbliebene Rest der Sammlung Klemperer an seine Erben restituiert. Victor Klemperers Vater Gustav (1852-1926), Direktor der Dresdner Bank und ebenfalls ein bedeutender Sammler, war Förderer und Ehrensenator der Technischen Universität Dresden.“

Die Restitution an die Erben Victor Klemperers von Klemenau im Jahre 1991 haben wir hier ausführlich geschildert.

31.5.2018 Vorträge zum Thema NS-Raubgut und Provenienzforschung in Sachsen

Die Universitätsbibliothek Freiberg lädt am 31.5.2018 zu Vorträgen zum Thema NS-Raubgut und Provenienzforschung in Sachsen mit anschließender Gesprächsrunde ein.

Referieren werden Elisabeth Geldmacher, Mitarbeiterin unseres Projektes, die aus ihrer Masterarbeit zum Thema Provenienzforschung an sächsischen Bibliotheken berichten wird.

Der Provenienzforscher Robert Langer (bis April 2018 wissenschaftlicher Mitarbeiter im NS-Raubgutprojekt der Stadtbibliothek Bautzen) widmet seinen Vortrag u.a. dem spektakulären NS-Raubgutfund der verschollen geglaubten HERTIE-Bibliothek in der Stadtbibliothek Bautzen. Gleichzeitig stellt er sein neues Buch „Die Wege der geraubten Bücher“ vor, welches am 25. April 2018 erschienen ist.

Die Veranstaltung findet um 14 Uhr im Agricola-Saal statt. Weitere Informationen hier: blogs.hrz.tu-freiberg.de/ub/events/provenienz/

14.5.2018 Neuerscheinung: "Die Wege der geraubten Bücher" von Robert Langer

Wie kommt es, dass man noch heute Raubgut der Nationalsozialisten in öffentlichen Einrichtungen wie Bibliotheken findet? Wie konnte es so lange unentdeckt bleiben? Wie wurde es getarnt und wie kann man die verwischten Spuren lesen?

Diesen Fragen geht der Autor anhand der Büchersammlung des jüdischen Unternehmerehepaars Edith und Georg Tietz nach. Georg Tietz, Inhaber der Hermann Tietz Warenhäuser (HERTIE), rettete sich und seine Familie nach der „Arisierung“ über Liechtenstein in die USA ins Exil. Dort leben noch heute die Nachfahren.
Das Buch erzählt die Geschichte einer einst legendären Privatbibliothek. Es berichtet davon, wie die Sammlung enteignet, verwertet und verborgen wurde. Der Leser erfährt weiterhin, wie die Buchbesitzer 2016 in der Stadtbibliothek Bautzen identifiziert werden konnten und wie die Stadt heute mit der HERTIE-Sammlung umgeht.

Aus dem Vorwort von Regine Dehnel:
Die Stadtbibliothek Bautzen ist bis heute die einzige öffentliche, städtische Bibliothek, in der systematisch, im Laufe mehrerer Jahre, zur Herkunft von Büchern geforscht wurde … Die Publikation illustriert, wie gewinnbringend und bedeutsam Herkunftsforschung zu Büchern in einer Stadtbibliothek sein kann … Es ist erhellend und informativ für die Geschichte von Bibliotheken im Nationalsozialismus und in der DDR. Es ist anregend für all jene, die sich für die jüngere Geschichte Bautzens, Sachsens und der Sorben interessieren. Und es ist anrührend und bereichernd für alle, denen Bibliotheks- und Büchergeschichten und die damit verbundenen Schicksale von Menschen und Familien etwas bedeuten.

Robert Langer
DIE WEGE DER GERAUBTEN BÜCHER
Die Stadtbibliothek Bautzen und die HERTIE-Sammlung
96 Seiten, zahlreiche Abbildungen, 20cm x 22cm, Broschur, 2018

ISBN 978-3-9814149-3-6
29,90 EUR - Hier bestellen.

8.5.2018 Gedenklesung: Die deutschen Bücherverbrennungen am 10. Mai 1933

Die öffentlichen Bücherverbrennungen am 10. Mai 1933 bildeten den Höhepunkt der Aktion "Wider den undeutschen Geist", mit der die systematische Verfolgung oppositioneller und unliebsamer Schriftsteller im Dritten Reich begann. Unter Verlesung von "Feuersprüchen" wurden ihre Werke verbrannt. In Dresden fand die von der "Deutschen Studentenschaft" organisierte Bücherverbrennung nur unweit der Sächsischen Landesbibliothek- Staats- und Universitätsbibliothek Dresden (SLUB) an der Bismarcksäule statt.

Die SLUB wird am 9. Mai 2018 mit einer öffentlichen Lesung und Ausstellung einiger der verbrannten Bücher an diesen dunklen Tag deutscher Geschichte erinnern. Die Veranstaltung beginnt um 11 Uhr im Hauptfoyer, Zellescher Weg 18. Auch wir werden uns daran beteiligen und aus Heinrich MannsDer Untertan“ (1918), aus Max BrodsDie erste Stunde nach dem Tode. Eine Gespenstergeschichte“ (1916) und aus Emil Julius GumbelsVier Jahre politischer Mord“ (1922) lesen.

Eine vollständige Liste der verbrannten Bücher findet sich hier.

15.4.2018 Buchrückgabe an Erben von Max Geyer

Bereits im März haben wir über den NS-Raubgut-Fund in Georg Webers Weltgeschichte in übersichtlicher Darstellung berichtet: Anhand eines darin erhaltenen Autogramms ließ sich das Buch seinem Vorbesitzer Max Geyer (1918–1997) zugordnen.

Im Rahmen einer ergreifenden Gedenkveranstaltung für Salcia Geyer und ihre Familie am 15. April 2018 auf der Mathildenstraße in Dresden konnten wir das Buch nun an die Erben von Max Geyer zurückgeben. Der Enkelsohn von Salcia Geyer, Rabbi Michael Meyerstein, nahm es tief bewegt entgegen, weil es eines der wenigen erhaltenen Erinnerungsstücke seiner Dresdner Familie ist.

 

Jana Kocourek und Elisabeth Geldmacher übergeben das Buch an Rabbi Michael Meyerstein (Lukas-Paul Kretzschmar, Stolpersteine für Dresden e.V.“)

14.3.2018 Verlegung von 25 neuen Stolpersteinen in Dresden

Morgen am 15. März 2018 werden 25 weitere Stolpersteine in Dresden verlegt. Mit ihnen wird den Menschen gedacht, die im Nationalsozialismus verfolgt, deportiert und/ oder ermordet wurden. Die 10 x 10 cm großen Betonquader mit Messingplatten, auf denen der Name und Worte der Erinnerung aufscheinen, werden vor den Wohnhäusern der einst dort Lebenden verlegt. Am Abend findet eine öffentliche Feierstunde zur Verlegung der 25 Stolpersteine in der Bibliothek Dresden-Neustadt (Königsbrücker Straße 26) statt.

 

Stolpersteine für Salcia, Cäcilie, Minna und Max Geyer in der Mathildenstraße 15 (Lukas-Paul Kretzschmar, Stolpersteine für Dresden e.V.)

 

Der Kölner Künstler Gunter Demnig fertigt und verlegt seit 1992 Stolpersteine. Inzwischen sind es mehr als 61.000 in ganz Europa. Dreden hat seit 2009 225 Steine erhalten.

Auch für Max Geyer und seine Familie wird mit neuen Stolpersteinen gedacht. Nachdem in einem Buch aus dem SLUB-Bestand ein Autogramm von Max Geyer identifiziert werden konnte, ist die Rückgabe für April 2018 in Vorbereitung.

12.3.2018 NS-Raubgut-Funde von Dresdner Juden

Im Jahr 1949 kamen Teile der Bibliothek eines entnazifizierten Gärtnereibesitzers in den Bestand der heutigen SLUB. 2015 konnten darunter Bücher identifiziert werden, die ursprünglich der Familie Berta und William Ernst Kaps aus Dresden gehörten. Dieser Fund ließ weitere Verdachtsfälle in dieser ehemaligen Privatbibliothek vermuten. Diesbezügliche Recherchen ergaben zwei weitere begründete Fälle von NS-Raubgut-Verdacht:

In Georg Webers Weltgeschichte in übersichtlicher Darstellung befindet sich ein Autogramm Max Geyers. Er wurde am 2. November 1918 in Dresden geboren. 1938 wurde Max Geyer nach Dachau deportiert und im Februar 1939 entlassen. Er konnte über England, wo er seine Frau Eva kennenlernte, in die USA emigrieren. Seine Mutter Salcia Geyer wurde am 20./21. Januar 1942 nach Riga deportiert, von dort am 5. November 1943 nach Auschwitz und ist dort vermutlich ermordet worden. Seinen beiden Schwestern Minna und Cecilie/Cäcilia gelang die Emigration nach England. 

Das Autogramm von Irene Kirschstein findet sich in dem Buch Jugend von heute von Otto Ernst.  Irene Brasch (* 14. Januar 1889 in Dresden) war die Tochter des Kaufmanns Moritz Brasch und dessen Frau Charlotte, geb. Feldmann. Sie heiratete 1919 den Dresdner Kaufmann Hans Kirschstein, Inhaber der Tapisseriefabrik Kirschstein & Co. GmbH, die 1938 arisiert wurde. Irene, Hans und ihrer Tochter Charlotte gelang die Emigration, Sohn Peter (geb. 1922) wurde in Auschwitz ermordet.

Die Schicksale dieser drei Familien können im Buch der Erinnerung weitergelesen werden. Die weiterhin in Exemplaren der ehemaligen Privatbibliothek vorhandenen Provenienzmerkmale weisen zumeist einen regionalen Bezug zu Dresden und seiner Umgebung auf. Ob weitere Verdachtsfälle auf NS-Raubgut dabei sind, sollen aktuelle Recherchen zeigen.

8.3.2018 Bücherverbrennung am 8. März 1933 in Dresden

Die erste öffentliche Bücherverbrennung nach der „Machtübernahme“ der Nationalsozialisten fand am 8. März 1933 in Dresden statt. Am 7. März 1933 wurden die Volksbuchhandlung auf der Großen Meißner Straße und am 8. März 1933 die Redaktionsräume der sozialdemokratischen „Dresdner Volkszeitung“ gestürmt und geräumt. Ausgeführt wurde die Aktion von unter Polizeischutz stehenden SA-Truppen. Auf dem Wettiner Platz wurden anschließend Bücher und Schriften öffentlich verbrannt.

 

Bücherverbrennung vor dem Gebäude der Volkszeitung am Wettiner Platz in Dresden am 8.3.1933 (SLUB/Deutsche Fotothek)

 

Dieses Ereignis ging der inszenierten Kampagne "Wider den undeutschen Geist" in den Maitagen 1933 voraus, bei der vor allem am 10. Mai in deutschen Städten massenhaft Bücher verbrannt wurden, die der nationalsozialistischen Ideologie widersprachen. Vorbereitet wurde sie vom Hauptamt für Presse und Propaganda und der Deutschen Studentenschaft.

Das Buch besaß für die nationalsozialistische Diktaturdurchsetzung eine große Bedeutung: Einerseits wurden politisch opportune Autoren und Bücher gefördert, andererseits solche verfolgt und verboten, die als „marxistisch“, „staatsfeindlich“, „bolschewistisch“ und „zersetzend“ bewertet wurden. Das betraf pazifistische Autoren wie z.B. Friedrich Wilhelm Foerster, politische Autoren wie Walther Rathenau, aber auch Vertreter moderner Wissenschaften wie Sigmund Freud. Solche Autoren und ihre Bücher wurden als „unerwünscht“ erklärt.

Der Berliner Volksbibliothekar Wolfgang Hermann begann noch Anfang des Jahres 1933 mit der Zusammenstellung einer sog. Schwarzen Liste der „unerwünschten“ Literatur, die nach ihrer Veröffentlichung am 1. Mai 1933 Grundlage für die Bücherverbrennungen war. Sie diente aber auch als Basis für die Aussonderung solcher Werke aus Bibliotheken. In der Sächsischen Landesbibliothek wurde die „unverwünschte“ Literatur im Katalog besonders gekennzeichnet und für die Ausleihe gesperrt. Sie konnte nur nach Nachweis der „politischen Zuverlässigkeit“ eingesehen werden.

Hermanns erste Liste wurde immer wieder durch Einzelverbote ergänzt und war Vorläufer der „Listen des schädlichen und unerwünschten Schrifttums“, die ab 1935 veröffentlicht wurden.

 

 

Karte des Alphabetischen Katalogs der SLB mit Büchern von Sigmund Freud. Der Autorname ist zur Kennzeichnung als Verfasser "unverwünschter Schriften" mit zwei Kreuzen markiert.

6.2.2018 Beutegut oder nicht?

Als sogenannten NS-Beutegut gelten Objekte, die während des Zweiten Weltkrieges in den von Deutschland besetzten Gebieten geraubt wurden: Frankreich oder die Niederlande, aber auch Osteuropa. Besonderes Augenmerk bei der Suche nach Raubgut gilt daher Merkmalen, die nicht deutschsprachig sind. In dem von dem Ökonomen Julius Lehr verfassten, 1895 in Leipzig erschienenen volkswirtschaftlichen Lehrbuch „Produktion und Konsumtion in der Volkswirtschaft“ gibt es insgesamt 18 verschiedene Provenienzmerkmale – fast ausschließlich russischer Bibliotheken. Eine der ersten Besitzkennzeichnungen dieses Buches dürfte eine Notiz (oder ein Autogramm) in kyrillischer Handschrift sein, die um 1904 eingetragen wurde.

Außerdem enthält es Stempel und Signaturen verschiedener Einrichtungen der Russischen Akademie der Wissenschaften (БИБЛИОТЕКА НАУЧО- ИССЛЕДОВАТЕЛЬСКАЯ ИНСТИТУТА), einer Journalisten-Bibliothek, vermutlich der Moskauer Universität, (Библиотека Шурналистов) oder der sogenannten Roten Professur (ЛЕНИНГРАДСКИЙ НСТИТУТ Красной Профессуры ВИВЛИОТЕКА).

Ein weitere Stempel weist darauf hin, dass diese Bücher vermutlich über einen  zentralisierten Büchertausch von einer Bibliothek in die nächste abgegeben wurden (Обменный Фонд Б-ки ЛОКА).

Die Rote Professur z.B. wurde 1921 mit dem Ziel gegründet, kommunistisches Lehrpersonal für die Universitäten auszubilden, um die bürgerlichen Wissenschaftler nach der Russischen Revolution abzulösen. 1938 wurde sie wieder aufgelöst. Danach könnten die Bücher ihrer Bibliothek in andere Einrichtungen abgegeben sein. Wie das Buch letztlich von Russland bis nach Dresden gelangt ist, ist nicht zweifelsfrei geklärt. Vermutlich hat es einen Umweg über die Warschauer Stadtbibliothek (Biblioteka Publiczna m. st. Warszawy) genommen. Ein polnischsprachiger Stempel benennt zwar die Russische Nationalbibliothek in Leningrad als Vorbesitzer, könnte aber ein Tauschexemplar markieren. Ein Stempel der Warschauer Bibliothek trägt die Aufschrift „do obrotu rynkowego“, was wahrscheinlich den avisierten Verkauf des Buches anzeigen soll. Eventuell handelte es sich um eine Dublette oder wurde aufgrund seines Alters makuliert. Lehrs volkswirtschaftliches Buch ist demnach in den Antiquariatsbuchhandel gelangt, über den es die Sächsische Landesbibliothek 1991 erworben hat.

Trotz einer auffälligen Vielzahl von Stempeln russischer Bibliotheken wurde das Buch vermutlich nicht während des Zweiten Weltkriegs in Russland geraubt, sondern hat die 1.600 Kilometer zwischen St. Petersburg und Dresden als mehrfaches Tausch- und Kaufexemplar zurückgelegt.

Provenienzmerkmale erzählen die Wege und Geschichte von Büchern, selten tun sie es so schön und reichhaltig wie in diesem Exemplar.

8.1.2018 Unterstützung

Seit dem 1. Januar 2018 unterstützt uns nun ein neuer Kollege bei unserer Arbeit. Seine Aufgabe ist u.a. die Erstellung von Normdaten für Personen und Körperschaften (GND), die der Vernetzung von Informationssystemen dienen. Mithilfe der GND erfolgt z.B. der Nachweis von Vorbesitzern bei den in der Deutschen Fotothek dokumentierten Provenienzmerkmalen, die bei den unterschiedlichen Projekten der SLUB gefunden wurden – so bei einem Autogramm von Elsa oder Eva Angel oder einem Stempel der Berliner Jüdischen Gemeinde.

13.9.2017 Neues Projekt zur Identifizierung und Restitution von NS-Raubgut beginnt

Seit dem 1. September 2017 untersuchen zwei Wissenschaftliche Mitarbeiterinnen die Erwerbungen der Landesbibliothek seit 1945 auf „NS-Raubgut“. Das einjährige Projekt wird vom Deutschen Zentrum Kulturgutverluste in Magdeburg gefördert und dient der Identifizierung und Restitution von Büchern, die in der Zeit des Nationalsozialismus ihren Besitzern geraubt wurden, aber erst nach Ende des Zweiten Weltkriegs in die Sächsische Landesbibliothek Dresden gelangt sind. Besonderes Augenmerk gilt Büchern jüdischer Vorbesitzer wie den Familien Angel und Kaps aus Dresden (siehe Beiträge vom 17.9.2015 und 13.1.2016), aber auch jüdischer Gemeinden oder sozialdemokratischer und kommunistischer Vereine.

13.01.2016 Nachfahrensuche zu E. Angel

Im Zuge der Recherche zu Provenienzen mit NS-Raubgut-Verdacht in den Zugängen nach 1945 konnte das Autogramm „E. Angel. Dresden A1. Mathildenstraße 15 I.“ mit Hilfe des Buches der Erinnerung der Familie Angel in Dresden zugeordnet werden. Da nach der Scheidung von Erich und Elsa Angel nur Elsa und die Tochter Eva in der Mathildenstraße wohnten, stammt der Besitzeintrag von einer der beiden Frauen.

Elsa/Else Angel (*31.12.1895, Glauchau) lebte nach der Scheidung im Haushalt der Mutter und war als Krankenpflegerin tätig. Sie musste in das „Judenhaus“ Maxstraße 1 und danach in das „Judenhaus“ Altenzeller Straße 41 ziehen. Eva Elisa Angel, die Tochter von Elsa und Erich Angel, wurde am 05.06.1924 in Dresden geboren. Sowohl Elsa und Eva als auch Erich wurden am 23./24.11.1942 in das „Judenlager Hellerberg“ in Dresden und von dort am 02./03.03.1943 nach Auschwitz deportiert, wo sie wahrscheinlich sofort ermordet wurden.

Dank der Hilfe des Stolpersteine e.V. in Dresden konnte Kontakt zu einem Nachfahren der Familie hergestellt werden. Die Recherchen werden fortgesetzt.

Siehe auch: Buch der Erinnerung. Juden in Dresden - deportiert, ermordet, verschollen - 1933–1945. Hg. vom Arbeitskreis Gedenkbuch der Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit Dresden e.V. Dresden 2006.

17.09.2015 Bücher der Familie Berta und William Ernst Kaps aus Dresden

William (Willi) Ernst Kaps (1872–1943) war der Sohn des Dresdner Klavier- und Flügelfabrikanten Ernst Kaps. Seine Frau Berta entstammte der seit 1884/1885 in Dresden ansässigen jüdischen Familie Beck. Bertas Mutter Aurelie Beck, geb. Simon (*1856), kam am 8. September 1942 in Theresienstadt ums Leben, wie auch Bertas Bruder, der Arzt Guido Beck (*1879). Berta und William Ernst Kaps lebten in Dresden auf der Kaitzer Straße 9. William Ernst Kaps besaß eine herausragende Büchersammlung, wovon die beiden Exlibris der Dresdner Künstler Fritz Kleinhempel und Georg Erler zeugen. Selbst kinderlos, hatte sich das Paar der Förderung junger Künstler verschrieben. Nach dem Tod ihres nichtjüdischen Ehemanns William Ernst im August 1943 hatte seine jüdische Witwe Berta keinen beschränkten Schutz mehr und wurde am 19. Oktober 1943 nach Auschwitz deportiert. Unter der Nummer 32456/1943 ist ihr Tod am 1. November 1943 im Sterbebuch Auschwitz dokumentiert. Die Bibliothek des Ehepaars wurde von der Gestapo beschlagnahmt. In der SLUB sind im Rahmen systematischer Provenienzrecherchen fünf Bücher aus der Sammlung ermittelt worden.Vielen Dank an den Stolpersteine Dresden e.V. für den Hinweis.

Siehe auch: Buch der Erinnerung. Juden in Dresden - deportiert, ermordet, verschollen - 1933–1945. Hg. vom Arbeitskreis Gedenkbuch der Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit Dresden e.V. Dresden 2006.

27./28. April 2015: 3. Treffen des Arbeitskreises "Provenienzforschung und Restitution - Bibliotheken" in der SLUB

Am 27. und 28. April 2015 wird das 3. Treffen des Arbeitskreises  "Provenienzforschung und Restitution – Bibliotheken" in der Sächsischen Landes- und Universitätsbibliothek Dresden stattfinden.

Der Arbeitskreis hat sich gebildet, um den fachlichen Austausch zum Arbeitsgebiet "Identifizierung von NS-Raubgut in öffentlichen Bibliotheken" bzw. "Provenienzforschung zu Büchern und Sammlungen von gedrucktem und ungedrucktem Schriftgut" in einem kleinen Rahmen und konzentriert auf praktische Fragen durchzuführen. Herzlich möchten wir Interessierte aus Bibliotheken, Archiven und Museen einladen, mit uns in den fachlichen Austausch zu treten. Das Programm wird rechtzeitig an dieser Stelle bekanntgegeben.

Für Fragen stehen wir Ihnen gern zur Verfügung, nehmen Sie einfach Kontakt zu uns auf.

 

November 2014: Provenienzmerkmale der SLUB online

Seit November 2014 sind 3.853 Bilder von Provenienzmerkmalen in der Deutschen Fotothek veröffentlicht. In den beiden Provenienzprojekten der SLUB (2009–2013) waren über 15.000 Bilder von Stempeln, Exlibris, Autogrammen entstanden. Seitens der Provenienzforschung wird immer wieder beklagt, dass die vielfach in Projekten gewonnenen Daten nicht der Allgemeinheit zur Verfügung stehen bzw. schlimmstenfalls ganz verschwinden. In einem ersten Schritt sind jene Besitzmerkmale bereitgestellt worden, die mit einem GND-Satz verknüpft sind. Es ist geplant, im Sinne eines freien Zugangs zu Forschungsdaten sukzessive alle Provenienzdaten zu veröffentlichen, um diese nachnutzbar zu halten. Zudem ist vorgesehen, die Merkmale mit dem zugehörigen Buchbestand im SLUB-Katalog zu verlinken.

September 2013: SLUB übergibt LostArt 751 Fundmeldungen von NS-Raubgut

Im Ergebnis des 2011 bis 2013 von der AfP in Berlin geförderten Projektes zur Suche nach NS-Raubgut in den Beständen der ehemaligen Sächsischen Landesbibliothek - heute SLUB - wurden LostArt 751 Fundmeldungen übermittelt, die nun in der zentralen Datenbank für NS-Raubgut zu recherchieren sind. Weitere 165 Fundmeldungen folgen in Kürze.

07.03.2013: SLUB übergibt NS-Raubgut an Nachkommen von Sigmund Waldes

Mehr als 70 Jahre nach der Beschlagnahmung durch die Nationalsozialisten haben in der vergangenen Woche 159 Bücher mit ihrer Rückgabe an die Erben von Sigmund Waldes (geb. 1877 in Prag, gest. 1961 in Maspeth/Long Island - USA) ihren Weg zu den rechtmäßigen Eigentümern gefunden.

Die Brüder Sigmund und Heinrich Waldes waren als Fabrikanten von Knöpfen mit Werkstätten in Prag, Dresden, Long Island und der Schweiz über Deutschland hinaus tätig und angesehen. Sigmund Waldes war seit 1908 einer der Gesellschafter des Werkes in Dresden, in der Kleinen Plauenschen Gasse Nr. 37/43. Unmittelbar nach der Machtübernahme durch die nationalsozialistische Regierung in Deutschland war er nach Paris gegangen und später über Barcelona nach New York ausgewandert, wo er die dortige Filiale übernahm und zum Hauptsitz ausbaute. Sigmund Waldes starb 1961.

Begonnen hat der lange Weg der Bücher im Jahr 1938, als die Sammlung bibliophiler Drucke des 19. und 20. Jahrhunderts in Dresden beschlagnahmt und über einen Zwischenhändler im Jahr 1941 an die Sächsische Landesbibliothek verkauft wurde. Mehr als sechs Jahrzehnte später, im Jahr 2001, nutzte die SLUB das Portal http://www.lostart.de/, um die Existenz der Sammlung in der Rubrik Fundmeldungen anzuzeigen, und berichtete in der Fachpresse über die Sammlung im Kontext schon erfolgter Rückgaben jüdischen Eigentums.

Ein Kontakt zu den Erben kam erst Jahre später durch einen in Berlin lebenden amerikanischen Bürger zustande, der über diesen Aufsatz und den Eintrag in Lostart.de aufmerksam wurde. Durch diesen Kontakt ist es der SLUB nunmehr möglich, in Entsprechung der Grundsätze der Washingtoner Konferenz aus dem Jahr 1998 in Bezug auf Kunstwerke, die von den Nationalsozialisten beschlagnahmt wurden ("Washington Principles") diese Bücher aus dem jüdischen Eigentum von Sigmund Waldes zu restituieren. Die Übergabe fand in der vergangenen Woche an die Vertreter der Erben in den Räumen der SLUB statt.

08.05.2012: NS-Raubgut aus Österreich

In den Beständen der SLUB konnten zwei neue Fälle von NS-Raubgut nachgewiesen werden.

Es handelt sich in einem Fall um Exemplare aus den Privatbibliotheken von Victor Adler und Engelbert Pernerstorfer, die in den 1920er Jahren von der Sozialwissenschaftlichen Studienbibliothek der Kammer für Arbeiter und Angestellte für Wien (heute Arbeiterkammer Bibliothek Wien für Sozialwissenschaften) erworben wurden. Nach dem Anschluss Österreichs an Deutschland 1938 wurden die Arbeiterkammer und deren Bibliothek aufgelöst, die Bücher bis auf wenige Reste verstreut.

Der andere Fall gehört in den Bereich des Entzugs von Privatvermögen. Fernand Raoul Jellinek-Mercedes geriet im Jahr 1938 in das Visier der Nationalsozialisten. Die neuen Machthaber erhöhten immer weiter den Druck auf den "Juden" Jellinek-Mercedes, der vergeblich versuchte sein Vermögen zu erhalten. Er war schließlich gezwungen, Kunst und Bibliotheksbestände aus seinem Privatbesitz zu verkaufen.  Im Februar 1939 hielt Jellinek-Mercedes dem unmenschlichen Druck nicht mehr stand und ging in den Freitod.

Pressemitteilungen

12.12.2011: SLUB übergibt NS-Raubgut an Nachkommen der Familie Steinthal

Die Sächsische Landesbibliothek – Staats- und Universitätsbibliothek Dresden (SLUB) hat mit der Rückgabe von Büchern an die Erben der Bankiersfamilie Steinthal einen weiteren Bestand von NS-Raubgut an die rechtmäßigen Besitzer zurückgegeben. Unter dem nationalsozialistischen Regime wurden die jüdischen Familien systematisch entrechtet und deren beschlagnahmter Besitz entweder verkauft oder an öffentliche Einrichtungen übergeben.

Dies ist die dritte umfangreichere Rückgabe der SLUB Dresden nach der Rückgabe der Sammlung des jüdischen Bankiers Victor von Klemperer von Klemenau und der Autographensammlung des jüdischen Musikverlegers Henri Hinrichsen. 

Seit Oktober 2011 werden die vor einigen Jahren begonnenen systematischen und aufwändigen Herkunftsermittlungen (Provenienzforschungen) durch den Bundesbeauftragten für Medien und Kultur im Bundeskanzleramt gefördert, damit diese notwendige Aufarbeitung in den nächsten zwei Jahren abgeschlossen werden kann.

Den Erben der Familie Max (1850-1940) und Fanny Steinthal (1866-1941) wurden 115 unrechtmäßig erworbene Bücher am 9. November 2011 übergeben. Max Steinthal war zunächst als Direktor und bis zu seinem vom NS-Regime erzwungenen Ausscheiden 1935 im Aufsichtsrat der Deutschen Bank tätig. Die Eheleute hatten eine bedeutende Kunstsammlung aufgebaut. Sie starben innerhalb eines Jahres in einem Berliner Hotel, in dem sie auf ihre Ausreisemöglichkeit warteten. Fanny Steinthal bestimmte in ihrem Testament den noch in Deutschland lebenden Sohn Erich Steinthal, die nach Peru ausgewanderte Tochter Eva Vollmann sowie deren damaligen nichtjüdischen Ehemann Richard Vollmann als Erben.

Vollmann, der wohl auch nach der Scheidung von seiner Frau den Steinthals freundschaftlich verbunden blieb, lagerte später wegen der beginnenden Bombardements auf Berlin die  Steinthal’sche Kunst- und Büchersammlung in seine Villa nach Dresden aus. Zu Beginn der 1950er Jahre floh Vollmann dann in die Bundesrepublik und der Besitz des „Republikflüchtigen“ wurde eingezogen. Auf diesem Weg gelangten die Bücher über den Rat der Stadt Dresden an die damalige Sächsische Landesbibliothek.

Mit den Büchern werden den Familienerben wichtige Erinnerungsstücke zurückgegeben; zugleich wird an das doppelte Unrecht der Enteignung und Beschlagnahmung erinnert.

Nachrichten zum Thema NS-Raubgut

2. Dezember 2011: Pressemitteilung der Bundesregierung

Kulturstaatsminister Bernd Neumann: Mittel für die Provenienzrecherche werden verdoppelt

27. November 2011: NS-Raubgut in der Universitätsbibliothek Leipzig

Am 27. November 2011 eröffnete in der Bibliotheca Albertina eine Ausstellung, die die Ergebnisse des seit zwei Jahren laufenden Projektes zur Suche nach NS-Raubgut in den Beständen der Universitätsbibliothek dokumentiert.