Restitution von Büchern aus dem Eigentum Ilse Webers, geb. Herlinger

Im Februar 2020 restituierte die SLUB zwei Bücher aus dem Besitz der deutsch-tschechischen Schriftstellerin Ilse Weber, geb. Herlinger, an deren Sohn und seine Familie. Anhand von enthaltenen handschriftlichen Einträgen konnte die Vorbesitzerin identifiziert und die zwei Bände als NS-verfolgungsbedingte Kulturgüter bestimmt werden.

Ein Autogramm „Ilse Herlinger“ findet sich sowohl auf der Titelseite von Alexander Moszkowskis Roman Die Inseln der Weisheit: Geschichte einer abenteuerlichen Entdeckungsfahrt als auch in Karel ČapeksDrama WUR - Werstands Universal Robots: utopistisches Kollektivdrama in drei Aufzügen.

 

Titelseite aus Die Inseln der Weisheit: Geschichte einer abenteuerlichen Entdeckungsfahrt von Alexander Moszkowski (SLUB-Signatur: 28.8.4620)

Die Bücher gingen laut Zugangsnummer 1954 in den Bestand der Sächsischen Landesbibliothek (SLB) ein. Das Zugangsbuch für dieses Jahr weist keine Angaben zum Lieferanten der Bücher auf. Der ebenso in den Exemplaren enthaltene Stempel des Freien Deutschen Gewerkschaftsbundes (FDGB) – Landesvorstand Sachsen lässt vermuten, dass es sich hierbei um den Lieferanten gehandelt hat.

Stempel des Landesvorstandes Sachsen des Freien Deutschen Gewerkschaftsbundes

Für das fragliche Zugangsjahr 1954 findet sich eine größere Anzahl von Büchern, die diesen Stempel tragen. Sie enthalten zudem ungefähr weitere 80 Provenienzen, die zum Teil tschechischen und österreichischen Holocaust-Opfern zuzuordnen sind. Vermutlich sind diese Werke durch die nationalsozialistischen Besatzer in einem Sammellager zusammengetragen worden. Der FDGB hat sie nach Kriegsende wahrscheinlich aus dieser Quelle erhalten.

Die Vermutung, dass es sich bei der Vorbesitzerin um die Schriftstellerin Ilse Weber, geb. Herlinger, handeln könnte, wurde durch einen Schriftvergleich mit handschriftlich verfassten Dokumenten der Schriftstellerin bestätigt. Bei dieser Verifizierung wurde die SLUB von der Autorin Ulrike Migdal, die 2008 die bis jetzt umfangreichste Publikation von Briefen, Liedern und Gedichten Ilse Webers herausgegeben hat, unterstützt. Da Ilse Weber bis zu ihrer Hochzeit mit Willi Weber 1930 ihren Mädchennamen Herlinger trug, muss das Buch vor 1930 in ihren Besitz gelangt sein.

 

Ilse Weber mit Laute, 1928 (in: Weber, Ilse: Wann wohl das Leid ein Ende hat. Briefe und Gedichte aus Theresienstadt. Herausgegeben von Ulrike Migdal. München: Carl Hanser Verlag 2008)

Die deutsch-tschechische Schriftstellerin Ilse Herlinger wurde am 11. Januar 1903 in Witkowitz bei Mährisch-Ostrau (Österreich-Ungarn) geboren. Bereits im Alter von 14 Jahren schrieb sie erste jüdische Märchen und kleine Theaterstücke für Kinder und übersetzte tschechische Gedichte ins Deutsche und umgekehrt. Diese wurden in deutschen, tschechischen, österreichischen und Schweizer Zeitungen und Zeitschriften veröffentlicht. Ilse Herlingerlernte autodidaktisch Gitarre spielen, gründete Anfang der 1920er Jahre einen Kulturklub und engagierte sich in jüdischen Vereinen. 1930 heiratete sie Willi Weber. Er war 1901 in Ostrau geboren worden und hatte eine Ausbildung als Landwirt und Gärtner absolviert. Ein Jahr vor der Hochzeit war er aus Palästina zurückgekehrt, wo er neun Jahre in einem Kibbuz gearbeitet hatte. Am 1. Januar 1931 wurde Sohn Hanuš geboren, am 2. März 1934 Sohn Tomáš „Tommy“. Die Familie lebte bis 1939 in Ostrau. 

Nach der Besetzung Böhmens und Mährens durch die Wehrmacht im März 1939 gelang es dem Ehepaar Weber, den ältesten Sohn Hanuš mit einem Kindertransport nach England zu schicken. Er kam in die Obhut von Lilian von Löwenadler, einer schwedischen Diplomatentochter. Sie war eine Brieffreundin Ilse Webers. Von England aus brachte diese Hanuš nach Schweden, wo er den Holocaust überlebte. Er lebt heute mit seiner Familie in Stockholm.

Ilse, Willi und Tommy zogen 1939 nach Prag, wo sie zunächst in einer eigenen Wohnung lebten. In den Briefen Ilse Webers finden sich Hinweise, dass die Familie nicht ihr vollständiges Eigentum mitnehmen konnte. Ab Ende Dezember 1940 mussten sie in ein ihnen zugewiesenes Zimmer im Wohnhaus eines ehemaligen Kinderarztes umziehen. Am 6. Februar 1942 wurden Ilse, Willi und Tommy in das Konzentrationslager Theresienstadt deportiert. Ilse Weber arbeitete dort als Krankenschwester in der Kinderkrankenstube.

Im September 1944 erhielt Willi Weber den Transportbefehl für den Osten. Er wurde nach Auschwitz deportiert und erlitt in Folge der Arbeitseinsätze schwere gesundheitliche Schäden. Nach der Abriegelung von Gleiwitz, einem Nebenlager von Auschwitz, durch die Rote Armee, gelang Willi Weber die Flucht. Er erreichte im Mai 1945 Prag, wo er nach Ende des Krieges gemeinsam mit seinem Sohn Hanuš lebte. Er verstarb im Sommer 1974. 

Ilse und Tommy Weber wurden am 6. Oktober 1944 im Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau ermordet. Auch Ilses Mutter und zwei Halbschwestern verloren im Holocaust ihr Leben, ihre beiden Brüder überlebten. Von den acht Geschwistern Willi Webers überlebten sechs die nationalsozialistische Verfolgung.

Bevor die Familie Weber beide Bücher zurück erhielt, sind Digitalisate (hier und hier) von ihnen erstellt worden. Sie sollen als „Stolpersteine“ im Online-Katalog an die Schriftstellerin sowie die Bestandsgeschichte der SLB erinnern. Daneben wurde im Februar 2020 in einer Lesung Ulrike Migdals zu den Briefen und dem literarischen Werk Ilse Webers an sie gedacht.

Literatur und Quellen:

Weber, Ilse: Wann wohl das Leid ein Ende hat. Briefe und Gedichte aus Theresienstadt. Herausgegeben von Ulrike Migdal. München: Carl Hanser Verlag 2008.

Weber, Ilse: "Ich wandre durch Theresienstadt": Lieder für Singstimme und Klavier. Singstimme und Klavier. Herausgegeben von Winfried Radeke. Berlin: Boosey& Hawkes [u.a.] 2008.

Mikota, Jana: Jüdische Schriftstellerinnen – wieder entdeckt: Ilse Weber und ihre jüdischen Märchen. In: Medaon 6 / 2012, Nr. 10, S. 1-4, http://medaon.de/pdf/MEDAON_10_Mikota.pdf.

Hanuš Weber: Nachwort zur Dokumentation der Spurensuche. In: Mitteilungsblatt der Lagergemeinschaft Auschwitz / Freundeskreis der Auschwitzer e.V. 16 (11/89), S.  28f.

https://www.holocaust.cz/databaze-obeti/obet/131838-ilse-weberova/

Micha Guttmann, David Dambitsch: Portrait Hanus Weber, Sohn der Dichterin Ilse Weber. (mp3-Audio; 6,4 MB; 6:59 Minuten) In: Deutschlandfunk-Sendung „Schalom“. 22. Mai 2020.