Restitution von NS-Raubgut: SLUB gibt Bücher an das Evangelische Werk für Diakonie und Entwicklung zurück

1993 erwarb die SLUB ein Buch mit einem Eigentumsstempel der Apologetischen Centrale in Berlin. Dort war es 1938 von den Nationalsozialisten beschlagnahmt worden. Dank der Recherchen der Mitarbeiter:innen unseres NS-Raubgut-Projekts konnte es nun an das Evangelische Werk für Diakonie und Entwicklung als Rechtsnachfolger der Apologetischen Centrale zurückgegeben werden.

Von den Nationalsozialisten geraubte Bücher in den Beständen deutscher Bibliotheken sind ein Problem, das uns noch lange beschäftigen wird. Der Grund dafür ist einerseits die Masse an Büchern, die geraubt worden sind. Davon ist bislang nur ein Bruchteil identifiziert – und noch weniger restituiert. Andererseits gibt es geraubte Bücher nicht nur in Bibliotheken. Viele dürften sich noch in Privatbesitz befinden und gelangen immer wieder auch in den Buchhandel. Daher müssen Bibliotheken wie die SLUB bei antiquarischen Ankäufen sehr genau prüfen, woher die Bücher stammen und ob eventuell vorhandene Provenienzen auf NS-Raubgut hinweisen. Dieses Bewusstsein war lange Zeit nicht vorhanden und auch die Überprüfung von Provenienzen ohne die heutige Informationsfülle nur schwer möglich: 1995 – fünf Jahre nach der deutsch-deutschen Wiedervereinigung und 50 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs und der nationalsozialistischen Diktatur – erhielt die SLUB von der in Abwicklung befindlichen Zentralstelle für wissenschaftliche Altbestände ein Buch über die Forschungsarbeit des niederländischen Geisteswissenschaftlers und NS-Funktionärs Herman Wirth (1885–1981) (Signatur 6.A.3940). Es trägt den Stempel der Apologetischen Centrale in Berlin.

Stempel der Apologetischen Centrale in Berlin (SLUB/Deutsche Fotothek, df_prov_0016296)

Die Apologetische Centrale der Evangelischen Kirche in Deutschland wurde 1921 gegründet. Das Forschungsinstitut beobachtete und dokumentierte die Aktivitäten religiöser Bewegungen und informierte die protestantische Öffentlichkeit darüber. Am 10. Dezember 1937 wurden die Räume der Apologetischen Centrale in Berlin-Spandau der Geheimen Staatspolizei zunächst durchsucht und versiegelt, 1938 das Vermögen inklusive Archiv und Bibliothek mit ca. 2.000 Bänden zugunsten des Deutschen Reiches eingezogen. Die Nationalsozialisten sahen in dem Institut eine illegale Schulungsstätte der oppositionellen Bekennenden Kirche. Tatsächlich hatten sich Theologen wie Walter Künneth (1901–1997), der die Centrale seit 1932 leitete, in einen in ihren Augen unpolitischen Kirchenkampf begeben, der zwar gegen die „Gleichschaltung“ der Evangelischen Kirche kämpfte und sich publizistisch mit den kirchenfeindlichen Angriffen der Nationalsozialisten auseinandersetzte, den Nationalsozialismus und seine Ideologie aber nicht grundsätzlich in Frage stellte.

Was genau mit dem Buch nach seiner Beschlagnahme passierte, wissen wir nicht. Es enthält außer dem Stempel der Apologetischen Centrale noch einen Aussonderungsstempel der Berliner Stadtbibliothek. Vorstellbar ist, dass der Band in eine sogenannte nationalsozialistische Gegnerbibliothek gelangt ist. Bestimmte DDR-Provenienzen wie die Staatsbibliothek, die Berliner Stadtbibliothek oder Zentralstelle für wissenschaftliche Altbestände haben häufig von der Auflösung solcher nationalsozialistischen Sammlungen profitiert und weisen überdurchschnittlich oft auf NS-Raubgut hin.

Das Buch aus dem Eigentum der Apologetischen Centrale wird nun an die Bibliothek des Evangelischen Werks für Diakonie und Entwicklung (EWDE) restituiert. Das EWDE wurde 2012 als Zusammenschluss der Diakonischen Werks und des Evangelischen Entwicklungsdienstes gegründet. Soziale Arbeit, Stipendien, die Unterstützung evangelischer Minderheiten, die Katastrophenhilfe und die Selbsthilfeaktion „Brot für die Welt“ gehören zu seinen wichtigsten Aufgaben.

Im Fall von erwiesenem NS-Raubgut betrachtet sich die SLUB nicht als Eigentümerin der in ihrem Bestand befindlichen Objekte und bemüht sich um eine Rückgabe an die Eigentümer:innen bzw. oder um andere gerechte und faire Lösungen im Sinne der Washingtoner Erklärung von 1998.

Das an das Evangelische Werk für Diakonie und Entwicklung restituierte Buch wurde im Rahmen des von der Stiftung Deutsches Zentrum Kulturgutverluste geförderten Projekts „NS-Raubgut in den Erwerbungen nach 1945“ identifiziert.

Zum Weiterlesen

Matthias Pöhlmann, „Illegale Fortbildungsstätte!“ – Vor 70 Jahren wurde die „Apologetische Centrale“ geschlossen, in: Materialdienst. Zeitschrift für Religions- und Weltanschauungsfragen, 70 (2012), H. 12, S. 444f.

Rudolf Ladwig, Von der „Apologetischen Centrale“ zur EZW, unter: https://www.ibka.org/de/artikel/rundbriefe04/apol.html