SLUB gibt Bücher an die österreichische Gewerkschaft PRO-GE zurück

Zwischen 1963 und 1996 erwarb die SLUB acht Bücher, die aus dem Eigentum des ehemaligen österreichischen Metallarbeiterverbandes stammen. Diese waren 1938 geraubt und nach Deutschland gebracht worden. Die Mitarbeiter:innen unseres NS-Raubgut-Projekts konnten die Bände nun identifizieren. Sie werden [Wann?] an die Gewerkschaft PRO-GE als Nachfolgerin des Metallarbeiterverbandes zurückgegeben.

 

Die von der SLUB an die Gewerkschaft PRO-GE restituierten Bücher, die vom österreichischen Metallarbeiterverband stammen. (SLUB/Provenienzprojekt)

 

Der freigewerkschaftliche „Verband der Eisen- und Metallarbeiter Österreichs“ wurde um 1900 gegründet und später in „Österreichischer Metallarbeiterverband“ bzw. „Verband der Metallarbeiter Österreichs“ umbenannt. Er existierte bis 1934: Im Jahr zuvor war in Österreich ein autoritäres Herrschaftssystem installiert worden – der sogenannte Austrofaschismus, der sich am italienischen Faschismus orientierte. Die freien Gewerkschaften Österreichs wurden im Februar 1934 verboten, und im Mai der „Gewerkschaftsbund der österreichischen Arbeiter und Angestellten“ als Einheitsgewerkschaft gegründet. Dessen Auflösung erfolgte nach dem „Anschluss“ Österreichs an das Deutsche Reich im März 1938. Sein gesamtes Vermögen, das auch das Eigentum der aufgelösten österreichischen Einzelgewerkschaften umfasste, wurde an die nationalsozialistische Einheitsgewerkschaft Deutsche Arbeitsfront (DAF) übertragen.

 

Stempel des Verbandes der Eisen- und Metallarbeiter Österreichs. (SLUB/Deutsche Fotothek, df_prov_0004570)

Stempel des Verbandes der Metallarbeiter Österreichs (SLUB/Deutsche Fotothek, df_prov_0004569)

 

An den acht Bücher des österreichischen Metallarbeiterverbandes, die zwischen 1963 und 1996 in die Sächsische Landesbibliothek (SLB) bzw. in die SLUB gelangten, zeigt sich exemplarisch, wie Bücher und große Bibliotheken nach dem Ende des Zweitens Weltkriegs und der nationalsozialistischen Diktatur zerstreut worden sind: Wohl relativ geschlossen gelangten die österreichischen Gewerkschaftsbibliotheken und die Büchersammlungen der Arbeiterkammern ab 1938 nach Berlin in die zentrale Bibliothek der DAF. Nach dem Ende des Weltkriegs wurde die DAF-Bibliothek vom Freien Deutschen Gewerkschaftsbund, der Einheitsgewerkschaft der DDR, übernommen und in deren „Zentralbibliothek der Gewerkschaften“ eingegliedert. Da die DAF-Bibliothek hunderttausende von Büchern aus Gewerkschaftseigentum enthalten hatte, waren viele Bücher mehrfach vorhanden. Diese wurden im Laufe der Jahre von der „Zentralbibliothek der Gewerkschaften“ ausgesondert und gelangten so in wissenschaftliche Bibliotheken der DDR, teilweise auch in die Bundesrepublik Deutschland. Auch die SLB erhielt über einen Zeitraum von 40 Jahren dutzende Bücher aus etwa 70 deutschen und österreichischen Gewerkschaftsbibliotheken. Dank einer systematischen Bestandsüberprüfung konnten diese nun identifiziert werden. Sie werden an die Nachfolgeeinrichtungen zurückgegeben. Die Produktionsgewerkschaft PRO-GE ist die Nachfolgerin des österreichischen Metallarbeiterverbandes.

Im Fall von erwiesenem NS-Raubgut betrachtet sich die SLUB als Nachfolgerin der SLB nicht als Eigentümerin der in ihrem Bestand befindlichen Objekte und bemüht sich um eine Rückgabe an die Eigentümer:innen bzw. oder um andere gerechte und faire Lösungen im Sinne der Washingtoner Erklärung von 1998.

Die acht an die Gewerkschaft PRO-GE durch die SLUB restituierten Bücher wurden im Rahmen des von der Stiftung Deutsches Zentrum Kulturgutverluste geförderten Projekts „NS-Raubgut in den Erwerbungen nach 1945“ identifiziert.

 

Zum Weiterlesen

Nadine Kulbe, Epochen- und fachübergreifende Provenienzforschung am Beispiel der Freien Gewerkschaften, der Deutschen Arbeitsfront und des Freien Deutschen Gewerkschaftsbundes, in: Retour. Freier Blog für Provenienzforschung, 30.4.2020, https://retour.hypotheses.org/1126

 

Die restituierten Bücher

Pëtr Alekseevič Kropotkin, Die Schreckensherrschaft in Rußland, Stuttgart 1910 (2.A.1924)

Der sozialdemokratische Zukunftsstaat, Berlin 1893 (2.A.1949)

Henry Charles Lea, Geschichte der spanischen Inquisition, Leipzig 1911 (2.A.8576-1)

Josef Svatopluk Machar/Emil Saudek (Hg.), Der Dichter Machar und Professor Masaryk im Kampfe gegen den Klerikalismus, Wien/Leipzig 1912 (37.8.5279)

Franz Lütgenau, Natürliche und soziale Religion, Stuttgart 1894 (37.8.6449)

Raymund de Waha, Die Nationalökonomie in Frankreich, Stuttgart 1910 (38.8.1931)

Spiridon Gopčević, USA: aus dem Dollarlande; Sitten, Zustände und Einrichtungen der Vereinigten Staaten, Leipzig 1913 (2.A.1462)

Max Kraft, Güterherstellung und Ingenieur in der Volkswirtschaft, in deren Lehre und Politik, Wien: Leipzig 1910 (6.A.8531)