Restitution von NS-Raubgut: SLUB gibt 23 Bücher an das Exerzitienhaus HohenEichen zurück

Am 11. Dezember 2019 gaben die Mitarbeiter*innen des NS-Raubgut-Projekts der SLUB 23 Bücher an den Jesuiten-Orden zurück. Diese waren von der Geheimen Staatspolizei (Gestapo) im Exerzitienhaus HohenEichen in Dresden-Hosterwitz beschlagnahmt und 1942 an die Sächsische Landesbibliothek abgegeben worden.


Interview mit dem Leiter von Haus HohenEichen, P. Dr. Winfried Dettling, anlässlich der Restitution von 23 Büchern, 11. Dezember 2019 (SLUB/Provenienzprojekt)

Haus HohenEichen wurde 1921 durch Stiftung der wettinischen Prinzessin Maria Immaculata von Sachsen (1904­-1940) gegründet. Sie erwarb ein Gebäude mit Grundstück in Hosterwitz bei Dresden und schenkte es der Gesellschaft Jesu. Die Arbeit dort begann 1922. Sie bestand unter anderem in Exerzitien: geistlichen Übungen, die zu einer intensiven Besinnung und Begegnung mit Gott führen sollen. 1930 übernahmen die Hosterwitzer Patres auch die Seelsorge in der Pfarrei St. Petrus in Dresden-Strehlen.


Exerzitienhaus HohenEichen in Dresden Hosterwitz, Fotografie von Richard Peter sen., 1955 (Deutsche Fotothek, www.deutschefotothek.de/documents/obj/90040562)

Wie andere religiöse oder politische Gruppen auch waren die Jesuiten als "Staatsfeinde" mit dem Beginn der nationalsozialistischen Diktatur staatlichen Repressionen und Gleichschaltungsbestrebungen ausgesetzt. Die Patres wurden sukzessive mit Predigtverboten belegt, in ihrer Tätigkeit eingeschränkt und teilweise in Konzentrationslagern interniert. Ab 1940 sammelte das Reichssicherheitshauptamt, das für die sicherheitspolizeiliche und nachrichtendienstliche Überwachung sowie für die Repression von als Gegnern deklarieren Personen und Institutionen im nationalsozialistischen Deutschland zuständig war, Informationen über den Sitz des Jesuitenordens in Dresden-Hosterwitz. Ende 1940 berichtete beispielsweise ein SS-Sturmbannführer Hartl, dass "längere Beobachtungen über die Tätigkeit der Insassen der Jesuitenniederlassung Hoheneichen bei Hosterwitz/Dresden ergeben haben, daß sich diese in besonderer Weise mit der Jugendarbeit befassen und dabei die einschlägigen staatspolizeilichen Bestimmungen wiederholt übertreten haben. [...] Hohenheichen ist eines der Exerzitienhäuser der Diözese Meißen und somit als besondere Hochburg des Katholizismus zu betrachten." Hartl schlug daher vor, "diese Niederlassung mit Rücksicht auf ihre Bedeutung für die katholische Kirche in Sachsen und die festgestellten Verstöße gegen staatspolizeiliche Anordnungen zu beschlagnahmen und einzuziehen" (Bundesarchiv Berlin, R 58/5688, Bl. 60). Im Januar 1942 wurden Haus und Grundstück als "Vermögen von Reichsfeinden" enteignet. Dazu zählte auch die von den Jesuiten in Hosterwitz angelegte Bibliothek. Eine unbestimmte Zahl von Büchern wurde 1942 von der Gestapo an die Sächsische Landesbibliothek in Dresden als Geschenk übergeben und noch im gleichen Jahr inventarisiert. Erhalten geblieben sind nach den Luftangriffen auf Dresden, von denen auch das Gebäude der Landesbibliothek im Dresdner Stadtzentrum betroffen war, die restituierten 23 Bände. Weitere wurden dabei sicher zerstört.


Eine Auswahl der 23 Bücher, die am 11. Dezember 2019 an die Ordensgemeinschaft der Jesuiten in Dresden-Hosterwitz restituiert worden sind (SLUB/Provenienzprojekt)

Wie viele Bücher genau die Bibliothek in Haus HohenEichen umfasste, lässt sich aufgrund dieser Verluste nicht mehr rekonstruieren. Es dürften aber mehrere hundert gewesen sein, denn bereits 1947 hatten die amerikanischen Alliierten rund 200 Bände an die jesuitische Hochschule St. Georgen in Frankfurt (Main) abgegeben. Diese waren mit dem Provenienzmerkmal von Haus HohenEichen gekennzeichnet gewesen. Wie diese Bücher von Hosterwitz nach Frankfurt gelangten, lässt sich nicht mehr nachvollziehen. Die US-Amerikanischen Alliierten hatten nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs diverse nationalsozialistische Bücherdepots in ihrer Zone geräumt und die Werke im sogenannten Offenbach Archival Depot zusammengezogen. Dort wurden sie geprüft und, wenn möglich, an ihre Eigentümer zurückzugeben. Bücher mit unterschiedlichen jesuitischen Provenienzen wurden an die jesuitische Hochschule in Frankfurt (Main) restituiert.


Liste der 1947 aus dem Offenbach Archival Depot an die Hochschule St. Georgen abgegebenen Bände mit überwiegend jesuitischen Provenienzen (NARA, www.fold3.com/image/293344123)

Bücher aus der HohenEichener Bibliothek lassen sich anhand eines bestimmten Provenienzmerkmals identifizieren: einem kreisrunden Stempel mit gezacktem Rand, der die Aufschrift "Xaveriushaus Hosterwitz IHS" trägt. Das Nomen sacrum IHS ist das Symbol des Jesuitenordens. Es steht hier für die Kurzform von Iesum Habemus Socium (dt. Wir haben Jesus als Gefährten). "Xaveriushaus Hosterwitz" war der weniger gebräuchliche Name von Haus HohenEichen. Der hl. Franz Xaver (1509-1552) war der Mitbegründer des Jesuiten-Ordens.


Stempel von Haus HohenEichen, vor 1942 (Deutsche Fotothek, www.deutschefotothek.de/documents/obj/90104741)

Bei den 23 Büchern handelt es sich um jesuitische bzw. um katholische Literatur. Das älteste Werk stammt aus dem Jahr 1616: die Predigten des Jacobus a Voragine, gedruckt in Mainz. Zu den jüngeren Büchern zählt ein Werk über den japanischen Shintoismus, verfasst von dem Jesuiten und Missionshistoriker Georg Schurhammer (1882-1971), das 1923 erschienen ist. Mit der Rückgabe konnte nun ein Teil der HohenEichener Bibliothek an seinen ursprünglichen Ort zurückkehren und steht zukünftig für die Nutzung im Exerzitienhaus zur Verfügung.


Titelblatt von: Georg Schurhammer, Shin-tō. Der Weg der Götter in Japan, Bonn/Leipzig 1923 (SLUB 16.4.483; Deutsche Fotothek, www.deutschefotothek.de/documents/obj/90104826)

Im Fall von erwiesenem NS-Raubgut betrachtet sich die SLUB nicht als Eigentümerin der in ihrem Bestand befindlichen Objekte und bemüht sich um eine Rückgabe an die Eigentümer*innen bzw. oder um andere gerechte und faire Lösungen im Sinne der Washingtoner Erklärung von 1998. Bundesregierung, Länder und kommunale Spitzenverbände bekannten sich im Jahr darauf zu einer aktiven Provenienzforschung und Suche nach NS-Raubgut. Diese "Gemeinsame Erklärung" feierte am 9. Dezember 2019 ihr 20jähriges Jubiläum.

Die nun an den Jesuiten-Orden restituierten Bücher wurden im Rahmen des von der Stiftung Deutsches Zentrum Kulturgutverluste geförderten Projekts "NS-Raubgut in den Erwerbungen nach 1945" identifiziert.