NS-Raubgut verbleibt auf Wunsch der Erben als Leihgabe an der SLUB

Die Familie des Rechtswissenschaftlers Otto Bondy wurden nach der Besetzung Böhmens und Mährens durch die Nationalsozialisten im März 1939 als Juden verfolgt. Im NS-Raubgut-Projekt konnte ein Buch aus Bondys Eigentum identifiziert und an die Erben restituiert werden. Die Erbengemeinschaft entschied, dass Buch als Leihgabe an der SLUB zu belassen.

Das aktuelle NS-Raubgut-Projekt untersucht, inwieweit NS-Raubgut-Verdacht bei Zugängen der Sächsischen Landesbibliothek Dresden (SLUB) besteht, die nach 1945 in den Bestand eingegangen sind. Dabei ist ein größeres Konvolut von ca. 300 Büchern aufgefallen, das im Zugangsbuch von 1954 erfasst ist. Die Bücher tragen den Stempel des Landesvorstandes Sachsen des Freien Deutschen Gewerkschaftsbundes.

 

Stempel des Freien Deutschen Gewerkschaftsbundes – Landesvorstand Sachsen (SLUB/Deutsche Fotothek, df_prov_0001486)

Auffällig ist, dass sich in diesen Büchern zudem ca. 80 weitere Besitzmerkmale von Vorbesitzern befinden, die teilweise nachweislich tschechischen Holocaust-Opfern zuzuordnen sind. Es konnten u. a. bereits die Schriftstellerin Ilse Weber und der Arzt Ernst Kalmus als Vorbesitzer:innen identifiziert und ihre Bücher an die Familien restituiert werden.

Ein weiteres dieser Bücher – Lev Nikolaevič Tolstojs „Moderne Sklaven – trägt das ausradierte Autogramm und den Stempel des Juristen Otto Bondy. Der Stempel ist mit einer sehr ausführlichen Beschriftung versehen: „J. U. Dr. Otto Bondy advokát a obhájce ve věcech trestních v Kutnà Hořa.“ (übersetzt: „JUDr. Otto Bondy Anwalt und Strafverteidiger in Kutnà Hořa“). „Doktor práv“, abgekürzt JUDr., entspricht dem Grad, mit welchem in Tschechien das Studium der Rechtswissenschaften abgeschlossen wird.

 

Autogramm des Rechtsanwaltes Otto Bondy (SLUB/Deutsche Fotothek, df_prov_0017167)

 

 

Stempel des Rechtsanwaltes Otto Bondy (SLUB/Deutsche Fotothek, df_prov_0017166)

Anhand der Informationen zu Otto Bondys Beruf und dem Ort konnte verifiziert werden, dass es sich bei dem ursprünglichen Eigentümer um jenen Otto Bondy (1871–1922) handelt, dessen Nachfahren als Juden von den nationalsozialistischen Besatzern verfolgt wurden.

Otto Bondy wurde am 18. November 1871 in Brandeis/Brandýs nad Labem-Stará Boleslav als Sohn des Rabbiners Filip Bondy Jacob Kopell Bondy (1830–1907) und Theresie (geb. Aron, 1842–1910) geboren. Das Ehepaar hatte acht Kinder; aus der ersten Ehe seines Vaters mit Amalie (geb. Steurer, 1840–1870) stammten weitere fünf Halbgeschwister.

Otto Bondy studierte ab 1889 zunächst Mathematik und Physik an der Universität in Prag, wechselte dann aber zu Jura und erhielt am 14. November 1893 sein Doktordiplom. Er schloss sich der bürgerlichen Tschechischen Fortschrittspartei (Česká strana pokroková) an, nach deren Auflösung er Anhänger der sozialdemokratischen Bewegung war. Zudem engagierte sich Bondy für die tschechisch-jüdische Bewegung. Er war in Prag, Brandeis, Kolin, Vysokà und Brünn als Rechtsanwalt tätig. Otto Bondy und seine Familie zogen 1901 nach Kutnà Hořa (Kuttenberg), wo er eine Rechtsanwaltskanzlei übernahm. Er war Mitglied des Wahlgerichtshofes der Tschechoslowakischen Republik sowie der B'nai B'rith-Loge in Kutnà Hořa. Dort verstarb er 1922.

 

Nachruf Dr. Gottlieb Steins auf JUDr. Otto Bondy. In: B'nai B'rith Měsíčnik velké lóže pro Československý Stát / Monatsblätter der Grossloge für den Čechoslovakischen Staat 2 (1923), S. 96 f.

Gemeinsam mit seiner Frau Stefanie/ Štěpánka née Basch (1881–1942) hatte Otto Bondy drei Kinder: Georg Jiři (1903–1942); Anna (1906–1985) und Milada (1911–1942). Seine Frau und ihre Kinder Georg Jiři und Milada wurden im Holocaust ermordet. Tochter Anna überlebte mit ihrem Mann Rudolf J. Bondy (1888–1983) den Holocaust. Die Schicksale der Familien und Nachfahren von Georg Jiři und Milada sind bisher unbekannt.

Einleger in: Lev Nikolaevič Tolstoj, Moderne Sklaven, Leipzig: Diederichs, 1901.

Es ist davon auszugehen, dass das Buch nach dem Tod Otto Bondys im Eigentum seiner Frau Stefanie verblieb. Aufgrund der Verfolgung und Ermordung der Familienmitglieder Bondy ist das vorliegende Buch als NS-Raubgut zu bewerten. Wie und wann genau das Buch nach dem Entzug durch die nationalsozialistischen Besatzer in die Bibliothek des FDGB-Landesvorstandes Sachsen gelangte, kann derzeit nicht rekonstruiert werden.

Die Erbengemeinschaft nach Otto und Stefanie Bondy entschied sich, das Buch als Leihgabe im Bestand der der SLUB zu belassen. Damit verweist das Buch wie ein „Stolperstein“ auf das Schicksal seiner ehemaligen Eigentümer:innen. Neben digitalen Spuren wie Provenienzanzeigen im Online-Katalog wurde ein Einleger für das Buch gestaltet. Dieser enthält eine Beschreibung des Schicksals der Familie Bondy sowie einen QR-Code zum ausführlichen Falldossier auf dem Open Access Dokumentenserver Qucosa.

Im Fall von erwiesenem NS-Raubgut betrachtet sich die SLUB als Nachfolgerin der SLB nicht als Eigentümerin der in ihrem Bestand befindlichen Objekte und bemüht sich um eine Rückgabe an die Rechtsnachfolger:innen bzw. um andere gerechte und faire Lösungen im Sinne der Washingtoner Erklärung von 1998.