Restitution von NS-Raubgut: SLUB gibt Buch an die Arbeiterkammer Vorarlberg zurück

Mehrere hunderttausend Bücher waren 1938 von den Nationalsozialisten aus den österreichischen Arbeiterkammern geraubt worden. Einen Band aus der Bibliothek der Arbeiterkammer Vorarlberg fanden die Mitarbeiter:innen unseres NS-Raubgut-Projekts im Bestand der SLUB. Im Juli 2020 wurde er zurückgegeben.

Das an die Arbeiterkammer Feldkirch restituierte Buch von Ludwik Leijzer Zamenhof enthält eine Sammlung von Texten in Esperanto. Zamenhof war der Begründer der Plansprache. SLUB-Signatur 3.A.1323 (SLUB/Provenienzprojekt)

Im Rahmen unseres Projekts zur Suche nach NS-Raubgut fanden wir mehre Bücher aus österreichischen Gewerkschaften. Es fand nun seinen Weg zurück. Es stammt aus der Bibliothek der Arbeiterkammer Vorarlberg in Feldkirch.

Die Arbeiterkammern sind eine österreichische Besonderheit. In Zusammenarbeit mit dem Österreichischen Gewerkschaftsbund vertreten sie die Interessen der österreichischen Arbeitnehmer:innen und Konsument:innen. Sie wurden 1920 als Gegengewicht zu den Unternehmervertretungen gegründet. Jedes der neun österreichischen Bundesländer verfügt seitdem über eine regionale Arbeiterkammer. Mit dem Beginn des sogenannten Austrofaschismus 1933/34 verloren die Arbeiterkammern ihre Autonomie. Nach dem „Anschluss“ Österreichs an das nationalsozialistische Deutschland 1938 wurden sie aufgelöst und ihr Vermögen an die Deutsche Arbeitsfront (DAF), die nationalsozialistische Einheitsgewerkschaft, übertragen.

Stempel der Kammer für Arbeiter und Angestellte Vorarlberg in Feldkirch. (SLUB/Deutsche Fotothek, df_prov_0016117)

Von den hunderttausenden Büchern, die die Nationalsozialisten aus den österreichischen Arbeiterkammern geraubt und nach Deutschland transferiert haben, konnten bisher nur wenige in deutschen Bibliotheken wiederentdeckt werden. Die Gründe dafür sind vielfältig: Zu einen sind Teile der geraubten Bibliotheken durch die Auswirkungen des Zweiten Weltkriegs wohl zerstört oder von den Alliierten in ihre jeweiligen Herkunftsländer verbracht worden. Zum anderen wurden die verbliebenen Bestände nach Ende des Zweiten Weltkriegs auf vielfältige Art und Weise sowohl in der DDR wie auch in der Bundesrepublik verteilt. Sie gelangten in wissenschaftliche Bibliotheken und wurden durch den Antiquariatsbuchhandel veräußert. Erst im Zuge der intensivierten Suche nach nationalsozialistischem Raubgut in deutschen Bibliotheken, die vor allem durch die Förderung der Stiftung Deutsches Zentrum Kulturgutverluste möglich wurde, konnten in den letzten Jahren Bände entdeckt und zurückgegeben werden. Projekte wie das kürzlich beim Archiv der sozialen Demokratie der Friedrich-Ebert-Stiftung in Bonn begonnene, das die Rekonstruktion der SPD-Parteibibliothek vor 1933 ermöglichen soll, lassen hoffen, dass zukünftig noch mehr aus Gewerkschaften und Arbeiter:innen-Organisationen geraubte Bücher identifiziert und restituiert werden können.

Im Fall von erwiesenem NS-Raubgut betrachtet sich die SLUB als Nachfolgerin der SLB nicht als Eigentümerin der in ihrem Bestand befindlichen Objekte und bemüht sich um eine Rückgabe an die Eigentümer:innen bzw. oder um andere gerechte und faire Lösungen im Sinne der Washingtoner Erklärung von 1998.

Das an die Arbeiterkammer Vorarlberg durch die SLUB restituierte Buch wurde im Rahmen des von der Stiftung Deutsches Zentrum Kulturgutverluste geförderten Projekts „NS-Raubgut in den Erwerbungen nach 1945“ identifiziert.

Zum Weiterlesen

Epochen- und fachübergreifende Provenienzforschung am Beispiel der Freien Gewerkschaften, der Deutschen Arbeitsfront und des Freien Deutschen Gewerkschaftsbundes, in: Retour. Freier Blog für Provenienzforschung, 30.4.2020, https://retour.hypotheses.org/1126