Restitutionen der SLUB Dresden und der Staatsbibliothek zu Berlin: Erben von Georges Mandel erhalten Bücher zurück

Die Staatsbibliothek zu Berlin und die SLUB Dresden haben insgesamt fünf Bücher aus ihren Beständen an die Nachfahren des französischen Journalisten und Politikers Georges Mandel restituiert. Mandel, geboren 1885 als Louis Georges Rothschild, wurde während der NS-Zeit verfolgt und 1944 ermordet. Die Übergabe der Bücher erfolgte am 15. Juli 2022 durch die französische Premierministerin Élisabeth Borne in Paris.

Rückgabezeremonie in Paris am 15. Juli 2022

Der französische Journalist und Politiker Georges Mandel (* 5. Juni 1885 in Chatou, Département Yvelines; † 7. Juli 1944 im Wald von Fontainebleau) stammte aus einer jüdischen Familie. Als entschiedener Gegner der Appeasement-Politik gegenüber dem NS-Regime warnte er schon vor Ausbruch des Zweiten Weltkriegs eindringlich vor den Gefahren durch das nationalsozialistische Deutschland und kritisierte das Münchner Abkommen öffentlich.

Zunächst als Journalist für die Zeitung „L’Aurore“ tätig, wurde Mandel unter Georges Clemenceau dessen Privatsekretär und später Kabinettschef. Ab 1919 gehörte er dem Abgeordnetenhaus an. Von 1934 bis 1936 war Mandel Postminister, von April 1938 bis Mai 1940 Kolonialminister, im Anschluss bis Juni 1940 Innenminister. Nach dem Einmarsch der Deutschen und mit der Regierungsübernahme Philippe Pétains am 16. Juni 1940 verlor Mandel sein Ministeramt. Noch im Juni 1940 wurde er in Bordeaux zum ersten Mal inhaftiert, aber nach kurzer Zeit wieder freigelassen. Anschließend begab er sich als Teil einer Exilregierung nach Marokko, wo er im August 1940 verhaftet wurde. Er wurde nach Vichy-Frankreich verbracht und im sog. Prozess von Riom im Oktober 1941 zu lebenslänglicher Haft verurteilt. Kurz nach der Besetzung Südfrankreichs lieferte man Georges Mandel im November 1942 an das NS-Regime aus, das ihn im Konzentrationslager Sachsenhausen und in der Nähe des Konzentrationslagers Buchenwald in einem Speziallager für politische Gefangene aus den besetzten Gebieten inhaftierte. Schließlich lieferte man ihn 1944 nach Frankreich an die Milice française, eine paramilitärische Organisation, aus, die ihn am 7. Juli 1944 im Wald von Fontainebleau ermordete.

Georges Mandels Wohnung in der Avenue Victor Hugo 67 in Paris wurde im August 1940 zeitgleich zu seiner Verhaftung vom „Sonderkommando Künsberg“ durchsucht, wobei Gegenstände entnommen worden waren. Ab September 1940 war Mandels Wohnung von einer deutschen Militäreinheit bewohnt. Im April 1941 drangen Mitglieder der französischen rechtsextremen Partei in die Wohnung ein und entwendeten wohl ihrerseits weitere Gegenstände.

Zu vermuten ist, dass das „Sonderkommando Künsberg“ im August 1940 u.a. die Bibliothek Mandels plünderte (im zeitgenössischen Jargon „sicherstellte“), die 15.000 Bände u.a. zu zeitgenössischer politischer Geschichte umfasste. Ein solches Vorgehen hätte der Aufgabe des Sonderkommandos entsprochen, im Auftrag des Auswärtigen Amtes Gebäude der „feindlichen“ und neutralen diplomatischen Vertretungen sowie Wohnungen „feindlicher“ Politiker zu „sichern“ und das dort vorhandene Material, darunter Archivalien und Bücher, zu übernehmen.

Belegt ist gleichzeitig eine Beteiligung des Einsatzstabes Reichsleiter Rosenberg (ERR): Im Mai 1941 verzeichnet eine „Aufstellung der bisher in Paris sichergestellten jüdischen Büchereien“ des ERR 41 Kisten Bücher und Papiere, die im Januar 1941 in der Wohnung 67, Avenue Victor Hugo „bearbeitet“ worden waren. Eine ERR-Liste von Januar 1942 führt 42 Kisten auf.

Es ist davon auszugehen, dass in der Folge die geraubten Kulturgüter aus Georges Mandels Besitz nach Berlin verbracht und an verschiedene NS-Institutionen verteilt wurden. Teile seiner Bibliothek wurden nach 1945 vermutlich aus „herrenlosen“ Beständen geborgen und gelangten u.a. in den Tauschverkehr der Bibliotheken in der DDR (Zentralstelle für wissenschaftliche Altbestände = ZwA) sowie den Antiquariatsbuchhandel (Zentralantiquariat der DDR).

 

Widmung des Autors Gaston Bergery für Georges Mandel (SLUB / Deutsche Fotothek, df_prov_0017293)

Bei den nun zurückgegebenen Bänden handelt es sich u.a. um Exemplare in Paris erschienener zeithistorisch-politischer Schriften von René Gillouin (1930) sowie von Paul Achat, Gaston Bergery, Jacques Binger und Marcel Homet (aus den Jahren 1937 bis 1939), die Georges Mandel von ihren jeweiligen Autoren geschenkt und mit entsprechenden handschriftlichen Widmungen versehen worden waren. Das Widmungsexemplar im Bestand der SLUB von Gaston Bergery sowie eines aus der Staatsbibliothek Berlin sind in engem Zusammenhang mit Mandels Tätigkeit als Kolonialminister zu sehen.

Titelblatt aus: Bergery, Gaston: Air-Afrique: Voie imperiale. Orné de treize pages hors texte en héliogravure. Paris: 1937. Dresden: SLUB 2.A.5085 (SLUB / Deutsche Fotothek, df_dat_0018509)

Der in Dresden identifizierte Band aus dem Eigentum Mandels kaufte die Sächsische Landesbibliothek 1973 vom Zentralantiquariat der DDR in Leipzig an. Um 1950 sind zwei der Bände aus dem Besitz Mandels in der Öffentlichen Wissenschaftlichen Bibliothek (der Nachfolgeinstitution der Preußischen Staatsbibliothek im Osten Berlins) nachweisbar. Die anderen Berliner Exemplare wurden über die Zentralstelle für wissenschaftliche Altbestände 1960 und 1979/1980 erworben. Das Schicksal der Bücher in den Jahren zuvor (d.h. seit dem Raub in Frankreich) lässt sich nach aktuellem Kenntnisstand nicht präzise rekonstruieren.

Im Fall von erwiesenem NS-Raubgut betrachtet sich die SLUB nicht als Eigentümerin der in ihrem Bestand befindlichen Objekte und bemüht sich um eine Rückgabe an die Eigentümer:innen bzw. oder um andere gerechte und faire Lösungen im Sinne der Washingtoner Erklärung von 1998. Die gemeinsame Restitution der SBB und der SLUB verdankt sich der guten Vernetzung der Provenienzforschenden an Bibliotheken. Dank der Koordination durch die Kolleg:innen der Staatsbibliothek zu Berlin und der Unterstützung der Commission pour l’indemnisation des victimes des spoliations et intervenues du fait de législations antisémites en vigueur pendant l‘Occupation (CIVS) konnten die Erben nach Georges Mandel kontaktiert und ihnen die Restitution angeboten werden. Die Rückgabe der Bücher erfolgte am 15. Juli 2022 durch die französische Premierministerin Élisabeth Borne im Beisein des Ministerialdirektors bei der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien Andreas Görgen in Paris.

Zum Weiterlesen und -sehen:

Dokumentation der Provenienz Georges Mandel

Rückgabezeremonie in Paris am 15. Juli 2022

Falldossier

Das restituierte Buch:

Bergery, Gaston: Air-Afrique: Voie imperiale. Orné de treize pages hors texte en héliogravure. Paris, Grasset 1937.