Restitution von NS-Raubgut: SLUB gibt ein Buch an den Deutschen Freidenker-Verband zurück

Mit Beginn der nationalsozialistischen Diktatur 1933 wurden alle Freidenker-Vereinigungen in Deutschland verboten und ihr Vermögen enteignet. Dies betraf auch der Verband für Freidenkertum und Feuerbestattung. Ein Buch aus dessen Eigentum konnten die Mitarbeiter:innen unseres NS-Raubgut-Projekts nun im Bestand der SLUB identifizieren. Es wurde an den Deutschen Freidenker-Verband zurückgegeben.

 

Das von der SLUB an den Deutschen Freidenker-Verband restituierte Buch (SLUB/Provenienzprojekt)

 

Der Verband für Freidenkertum und Feuerbestattung wurde 1927 gegründet. Er war aus dem Zusammenschluss des Vereins der Freidenker für Feuerbestattung mit der Gemeinschaft Proletarischer Freidenker hervorgegangen. Die Verbindung hielt allerdings nur für kurze Zeit, denn schon 1929 spaltete sich ein Teil der Mitglieder als Verband proletarischer Freidenker wieder ab, die übrigen nannten sich 1930 in Deutscher Freidenker-Verband um.

Die Freidenker-Bewegung hat ihren Ursprung in der Zeit der Aufklärung im ausgehenden 17. Jahrhundert. Sie richtete sich gegen alle Autoritätsansprüche und stand für ein selbstständiges, selbst bestimmtes Denken, Leben und Handeln. Seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts setzten sich die Freidenker zunehmend für eine Trennung von Staat und Kirche ein. Aufgrund zahlreicher parallel existierender Vereine, Abspaltungen und Neugründungen war die deutsche Freidenkerbewegung im 20. Jahrhundert sehr heterogen und von verschiedenen Milieus und politischen Richtungen geprägt.

 

 

Stempel des Verbandes für Freidenkertum und Feuerbestattung (GND 1080276254)

 

Der Stempel steht aber nicht nur für die Geschichte der Freidenkerbewegung. Er gibt auch Gelegenheit, über eine weitere sich seit dem Ende des 19. Jahrhundert etablierende Kulturreformbewegung nachzudenken. Denn wie viele Freidenkerorganisationen setzte sich der Verband für Freidenkertum und Feuerbestattung – sein Name verrät es – für die Feuerbestattung ein. Zwar kennen viele Kulturen die Kremierung ihrer Toten, das Christentum aber lehnte sie jahrhundertelang ab. Denn das christliche Ritual der Erdbestattung orientierte sich an der Grablegung Jesu Christi. Ein Bewusstsein für die Feuerbestattung im christlich geprägten Deutschland entwickelte sich erst ab Ende des 18. Jahrhunderts im Kontext hygienischer Diskurse; für die Arbeiter:innen im 19. Jahrhundert war sie eine kostengünstige Bestattungsmethode; bei den Freidenkervereinigungen stand die Idee der Feuerbestattung für die Ablehnung religiöser Autoritäten und der bürgerlich-christlichen Rituale. Den endgültigen kulturellen Wandel im Bestattungswesen löste der von Ingenieur Friedrich Siemens 1874 in Dresden vorgestellte erste Ofen für die Leichenverbrennung aus. Im Zuge dessen entstanden Krematorien und Urnenhaine, es gründeten sich Vereine, die die Idee der Feuerbestattung verbreiteten und kultivierten. Ihre Pervertierung erfuhr die ursprünglich ethischen Prämissen verpflichtete Feuerbestattung dann durch die Nationalsozialisten, die sie für die industrielle Beseitigung von in den Konzentrationslagern Ermordeten missbrauchten.

 

Krematorium in Dresden-Tolkewitz nach einem Entwurf des Reformarchitekten Fritz Schumacher, Foto: Walter Möbius, 1928 (SLUB/Deutsche Fotothek, df_hauptkatalog_0006422)

 

Eingang des Krematoriums im ehemaligen Konzentrationslager Auschwitz, Foto: Werner Starke, 1968 (SLUB/Deutsche Fotothek, df_hauptkatalog_0725151)

 

Es ist nicht bekannt, wohin das Buch und überhaupt die Bibliothek des Verbandes für Freidenkertum und Feuerbestattung bzw. seiner Nachfolger nach ihrem Verbot 1933 gelangten. Die Sächsische Landesbibliothek (SLB), die Vorgängerin der SLUB, erhielt den nun restituierten Band 1977 von der Zentralstelle für wissenschaftliche Altbestände, die für die Verteilung von Büchern an die wissenschaftlichen Bibliotheken der DDR zuständig war. Ein weiterer Stempel im Buch verrät, dass es sich zuvor in der Bibliothek des Berliner Rundfunks befunden hatte. Der Sender wurde 1945 unter den Namen Radio Berlin gegründet und von der Sowjetischen Militäradministration in Deutschland kontrolliert. Er befand sich in der Sowjetischen Besatzungszone und war nach Gründung der DDR einer der wenigen hiesigen Radiosender. Vermutlich wurde die Bibliothek des Berliner Rundfunks u.a. mit Büchern aufgebaut, die nach dem Ende der nationalsozialistischen Diktatur als „herrenlos“ deklariert worden waren.

 

Stempel der Bibliothek des Berliner Rundfunks (SLUB/Deutsche Fotothek, df_prov_0005989)

 

Die Rückgabe des Buches erfolgte an den Deutschen Freidenker-Verband e.V. als Nachfolger der 1933 verbotenen Organisationen. Der ethischen Grundsätzen verpflichtete Verein versteht sich als Weltanschauungsgemeinschaft, Kulturorganisation und Interessenvertretung konfessionsloser Menschen.

Im Fall von erwiesenem NS-Raubgut betrachtet sich die SLUB als Nachfolgerin der SLB nicht als Eigentümerin der in ihrem Bestand befindlichen Objekte und bemüht sich um eine Rückgabe an die Eigentümer:innen bzw. oder um andere gerechte und faire Lösungen im Sinne der Washingtoner Erklärung von 1998.

 

 

Zum Weiterlesen

Beate Berger, Freidenker und Monismus im 19. und 20. Jahrhundert, in: Enno Bünz/Armin Kohnle (Hg.), Das religiöse Leipzig. Stadt und Glauben vom Mittelalter bis zur Gegenwart, Leipzig 2013, S. 349-388

Norbert Fischer, Feuerbestattung, Sozialdemokratie und Geschichte: Bestattungskultur als Reformprojekt der SPD im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert, in: Ohlsdorf. Zeitschrift für Trauerkultur 133 (2016), Nr. 2, unter: https://www.fof-ohlsdorf.de/133s07_fischer

Cordula Reuss (Hg.), NS-Raubgut in der Universitätsbibliothek Leipzig. Katalog zur Ausstellung in der Bibliotheca Albertina, Leipzig 2011